Diskussion über Strategien gegen rechten Terror in Neukölln

„Bitte stellen Sie nur Fragen, die tatsächlich das Thema unseres Abends betreffen und nehmen Sie möglichst auf das Bezug, was auf dem Podium gesagt wurde.“ Moderatorin Bianca Klose machte gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion „Rechter Terror in Neukölln – was tun?“ allen deutlich, wie aktuell und drängend das Thema im Süden des Bezirks nach wie vor ist. Die Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus konnte knapp zwei Wochen vor der Abgeordnetenhaus-Wahl vier Direktkandidatinnen und -kandidaten des Neuköllner Wahlkreises 6 im Saal der Ev. Kirchengemeinde Rudow begrüßen. Franziska Giffey (SPD), Olaf Schenk (CDU), Philine Niethammer (Bündnis 90/Die Grünen) und Niklas Schrader (Die Linke) waren der Einladung der Initiative „Rudow empört sich“ gefolgt. Der angefragte Florian Kluckert (FDP) fehlte entschuldigt. Abgesehen von allen Differenzen, die zwischen den Diskutanten am Montagabend mehr oder minder deutlich wurden, sandte die Versammlung vor allem ein Zeichen aus: Es gibt keinen Grund, AfD oder Nazis zu wählen. Nicht einen einzigen.

Ausdrücklich nicht eingeladen waren Vertreter der AfD, der NPD oder des „Dritten Weg“. Claudia von Gelieu wies im Namen der einladenden Initiative „Rudow empört sich“ darauf hin, dass die vier demokratischen Parteien in Neukölln erst Mitte August beschlossen haben, sich an keiner öffentlichen Diskussion mit rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien zu beteiligen. Ihren Entschluss begründeten die Parteien in einer gemeinsamen Erklärung. „Die AfD ringt nicht um gute Lösungen für den Bezirk, sondern sucht die Provokation“, wobei sie auch nicht vor persönlichen Angriffen, menschenverachtenden Redebeiträge oder der Verbreitung von Fake News zurückschrecke, stellten die Unterzeichnenden darin fest. „Wir haben in den vergangenen fünf Jahren erlebt, wie die AfD strategisch durch Beleidigungen, bewusste Störungen, Hetze und Hass, immer wieder den Ablauf der BVV stört“, verurteilten die bezirklichen Gliederungen der vier Parteien alle Versuche, die Demokratie zu zerstören und ihre Vertreter zu diffamieren oder verächtlich zu machen.

Weniger einvernehmlich wurde die Frage diskutiert, ob das Berliner Abgeordnetenhaus in der neuen Legislaturperiode einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des sogenannten „Neukölln Komplexes“ einsetzen solle. Olaf Schenk, stellvertretender Kreisvorsitzender der CDU Neukölln, verwies auf den über 100 Seiten starken Abschlussbericht, den eine „Kommission zur Überprüfung der bisherigen Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung der rechtsmotivierten Straftatenserie in Neukölln“ erst Ende Mai vorgelegt hatte. Die Kommission leiteten Uta Leichsenring, frühere Polizeipräsidentin von Eberswalde, sowie der ehemalige Bundesanwalt Herbert Diemer. Schenk empfahl, die im Bericht gemachten Verbesserungsvorschläge erst einmal umzusetzen. Bei den Ermittlungen zur Neuköllner Anschlagsserie habe es zwar Defizite gegeben, Belege für rechtsextreme Netzwerke in den Sicherheitsbehörden gebe es allerdings nicht. „Wir müssen gegen politischen Extremismus zusammenstehen. Ich danke der Kommission für ihre akribische Arbeit. Ich habe vollstes Vertrauen in Polizei und Staatsanwaltschaft“, sagte Schenk.

Franziska Giffey, SPD-Landesvorsitzende und Kandidatin ihrer Partei für das Regierende Bürgermeisteramt, warnte so wie Schenk vor einer Pauschalverurteilung der Sicherheitsbehörden und bezweifelte den Nutzen des Kommissionsberichtes nicht. Sie betonte allerdings auch: „Ich stehe solidarisch an der Seite der Opfer des rechten Terrors. Wir brauchen eine konsequente Strafverfolgung der Täter und Disziplinarverfahren gegen die, die der Aufklärung im Wege stehen.“ Ausdrücklich sagte Giffey zur Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses: „Das ist eine Aufgabe, die wir in der kommenden Legislaturperiode angehen müssen.“ Der Landesparteitag der SPD hatte im April die Einsetzung eines solchen parlamentarischen Ermittlungsgremiums mit großer Mehrheit gefordert.

Niklas Schrader, der im Abgeordnetenhaus in den Ausschüssen für Verfassungsschutz sowie Inneres, Sicherheit und Ordnung mitarbeitet, stellte ausführlich die Kompetenzen eines Untersuchungsausschusses vor. Er warb am eindringlichsten für die baldige Einsetzung eines solchen Ausschusses, den auch Philine Niethammer, Sprecherin der Grüne Jugend Neukölln, forderte. Betroffene der Neuköllner Anschlagsserie wollen seit Jahren einen Untersuchungsausschuss und legten bereits im November 2019 dem Abgeordnetenhaus ihre Petition „Rechter Terror in Berlin – Untersuchungsausschuss jetzt!“ mit über 25.000 Unterschriften vor. Der Ausschuss solle für den Zeitraum ab 2010 eingesetzt werden, also die Amtszeit der Innensenatoren Ehrhart Körting (SPD), Frank Henkel (CDU) und Andreas Geisel (SPD) überprüfen. In den Untersuchungszeitraum fallen zwei Brandanschläge auf das Anton-Schmaus-Haus der Falken, die im Mai und November 2011 verübt wurden, ebenso wie der am 5. April 2012 begangenen Mord an Burak Bektas.

„Wir sollten jetzt keine Zeit verlieren und in der neuen Wahlperiode so schnell wie möglich den Untersuchungsausschuss einsetzen. Die Fraktion Die Linke wird dafür die Initiative ergreifen und bei entsprechender Bereitschaft auch auf die anderen demokratischen Fraktionen zugehen“, teilte mir Niklas Schrader im Anschluss an die Podiumsdiskussion mit. Die konstituierende Sitzung des neuen Abgeordnetenhauses wird voraussichtlich am 4. November stattfinden. Erst danach können die regulären Ausschüsse eingesetzt und Anträge für weitere Ausschüsse eingebracht werden. Für die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses müssen mindestens 25 Prozent der Abgeordneten stimmen.

Während der Fragerunde im zweiten Teil der Veranstaltung hielten sich alle diszipliniert an die eingangs geäußerte Bitte der Moderatorin und stellten nur Fragen zum Rechtsextremismus in Neukölln. Der Wahlkreis 6 im äußersten Süden des Bezirks wurde neu zugeschnitten, sodass Wahlvorhersagen nur schwer möglich sind. Bei den Abgeordnetenhauswahlen 2016 erzielten die Direktkandidaten der AfD in den vier südlichen Wahlbezirken – die im Vergleich zum Norden eher konservativ geprägt sind – allerdings zwischen 17,5 und 21,2 Prozent der abgegebenen Erststimmen. Grund genug, um am Abend des 26. Septembers die Wahlergebnisse in Rudow genau anzuschauen.

=Christian Kölling=