Berliner Ehrengräber in Neukölln: Frauen sind eklatant unterrepräsentiert!

Kennen Sie Dr. phil. Bruno Bauer? Zu Ehren des Philosophen und Religionskritikers, der ein Zeitgenosse von Ludwig Feuerbach war, ist in Neubritz seit über 130 Jahren die Bruno-Bauer-Straße benannt. 1882 wurde Bauer auf dem St. Jacobi-Friedhof am Hermannplatz unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt. Schon 1844 war er zu seinem Bruder Egbert und dessen Familie nach Rixdorf gezogen, wo er auf einem kleinen Bauernhof in der Knesebeckstraße (heute Silbersteinstraße) lebte. Das Grab von Bruno Bauer befindet sich nach seiner Umbettung heute auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof an der Hermannstraße. „Er war ein Bürger Rixdorfs“ steht auf dem Grabstein. Bauers letzte Ruhestätte ist seit langem ein Ehrengrab des Landes Berlin. Jetzt prüft der Senat routinemäßig, ob der Status als Ehrengrab für weitere 20 Jahre verlängert werden kann.

Der Verleger Herbert Friedrich Witzel, () der ein Buch über Bruno Bauer veröffentlicht hat, schrieb im August in der Zeitung „Kiez und Kneipe“ einen Appell für den Erhalt des Ehrengrabes. Der Neuköllner Heimatverein e. V. und Witzel erinnerten am 6. September in der ehemaligen Kapelle des Neuen St. Jacobi Friedhofs an die 212. Wiederkehr des Geburtstages von Bruno Bauer und forderten die Beibehaltung seines Ehrengrabes. Der habilitierte Theologe machte sich mit seinem in drei Bänden erschienen Hauptwerk „Kritik der evangelischen Geschichte der Synoptiker“ in der Freidenker-Bewegung einen Namen. 1842 verlor er wegen seiner Schriften die Lehrbefugnis. Nach 1848 wandelte sich er sich vom Links-Hegelianer zum erzkonservativen und antisemitischen Rechts-Hegelianer, der regelmäßig unter Pseudonym in der preußischen Kreuzzeitung publizierte. Karl Marx und Friedrich Engels setzten sich danach mehrmals kritisch mit Bauers Werk auseinander.

Nur die Ehrengrabstätten der Berliner Ehrenbürger haben eine unbegrenzte Laufzeit. Eine Höchstlaufzeit der Ehrengräber gibt es allerdings nicht. „Aus der Laufzeitbegrenzung wird deutlich, dass nicht die Setzung eines Denkmals beabsichtigt ist“, antwortete der Chef der Berliner Senatskanzlei, Christian Gaebler im Sommer auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Stefan Förster. Deshalb wird jetzt das Ehrengrab Bauers, auf das Witzel hinwies, überprüft. Erst kürzlich verlor das Grab des Reise- und Romanschriftstellers Balduin Möllhausen (1825 – 1905) auf dem Friedhof Columbiadamm seinen besonderen Status. „Das Ehrengrab wurde mit Senatsbeschluss vom 3.8.2021 nicht verlängert. Die am Verfahren beteiligte Fachverwaltung hatte entsprechend votiert und mitgeteilt, dass es in Wissenschaft und Literatur in den letzten 20 Jahren kaum noch eine Beschäftigung mit seinem Werk gab“, schrieb mir die Pressestelle der Senatskanzlei am Freitag und teilte abschließend mit: „Insofern muss leider konstatiert werden, dass sein Andenken in der allgemeinen Öffentlichkeit nicht mehr fortlebt.“

680 Berliner Ehrengräber sind über die Stadt verteilt, nur 26 befinden sich allerdings in Neukölln. Als verstorbener Philosoph hat neben Bauer nur Eduard von Hartmann (1842 – 1906) ein Berliner Ehrengrab auf dem Friedhof am Columbiadamm. Unter den Künstlern werden in Neukölln nur der Zeichner, Maler und Radierer Franz Skarbina (1849 – 1910) sowie der Schlager- und Operettenkomponist Walter Bromme (1885 – 1943) geehrt, deren Gräber auf dem Alter St. Jacobi-Friedhof sowie auf dem Emmaus-Friedhof sind. Der Sozialreformer und Lehrer Konrad Agahd hat ein Ehrengrab auf dem Friedhof Britz I. Besonders gewürdigt wird auch das Berliner Original Reinhold „Krücke“ Habisch (1889 – 1964). Er hat auf dem alten Teil des St. Thomas-Friedhofs ebenso ein Ehrengrab wie der Oberbürgermeister Robert Zelle (1829 – 1901) und der Stadtälteste Wilhelm Wagner (1838 – 1923). Die übrigen Ehrengräber des Landes Berlin sind in Neukölln ausschließlich Politikern vorbehalten. Die bekanntesten Namen, an die auch andernorts öffentlich erinnert wird, sind Oberbürgermeister Hermann Boddin (1844 – 1907), Innensenator Joachim Lipschitz (1918 – 1961), der Stadtverordnete Emil Wutzky (1871 – 1963) sowie der Politiker Kurt Exner (1901 – 1996). Diese Persönlichkeiten sind auf dem Friedhof Britz I, dem St. Simeon u. St. Lukas-Friedhof, dem Friedhof Rudow sowie auf dem Urnenhain des Parkfriedhofs Neukölln beigesetzt.

Auf dem Friedhof Britz I sind die meisten Ehrengräber für Politiker zu finden. Hier haben neben Boddin auch August Ferdinand Wilschke (1853 – 1943), Hermann Radtke (1875 – 1969), Erich Raddatz (1886 – 1964) und Heinrich Keul (1918 – 1998) ihre letzte Ruhestätte gefunden. Im Urnenhain des Parkfriedhofs Neukölln, wo die Politiker Exner, Wilhelm Großmann (1888 – 1963) und Walter Nicklitz (1911 – 1989) bestattet sind, erwartet die Besucher eine besondere Überraschung: Hier wird die Stadtälteste Ella Kay (1895-1988) als einzige Frau in Neukölln mit einem Ehrengrab geehrt. Zudem wird im Urnenhain an den SPD-Aktiven und Buchdrucker Theodor Görner (1884 – 1971) besonders erinnert, der als einfacher Bürger ohne Amt und Würden vielen Verfolgten des NS-Regimes half.

Es ist zu wünschen, dass die Initiative für den Erhalt des Ehrengrabs von Bruno Bauer erfolgreich ist. Vielleicht kümmern sich Neuköllner Vereine und historisch interessierte Personen in Zukunft aber ganz grundsätzlich einmal stärker um die Berliner Ehrengräber im Bezirk als bisher: Frauen sind eklatant unterrepräsentiert! Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Reinhold „Krücke“ Habisch oder Theodor Görner sollten ebenso wie Wissenschaftler und Künstler zukünftig im öffentlichen Andenken des Bezirks besser erhalten bleiben. „Ehrengrabstätten sind Ausdruck der Ehrung Verstorbener, die zu Lebzeiten hervorragende Leistungen mit engem Bezug zu Berlin erbracht oder sich durch ihr überragendes Lebenswerk um die Stadt verdient gemacht haben“, erklärt der Senat. Anregungen auf Anerkennung einer Ehrengrabstätte nimmt die Senatskanzlei entgegen.

Die Adressen aller Friedhöfe finden Sie hier: https://www.berlin.de/adressen/friedhof/

=Christian Kölling=

3 Antworten

  1. Mit Interesse habe ich diesen Artikel über die Ehrengräber gelesen, nur bin ich darüber gestolpert, dass die Bruno Bauer Straße in Neu Britz liegen soll. So weit ich mich erinnere liegt sie am Kranoldplatz und der liegt in Neukölln. Britz beginnt erst nach der Julius Straße
    Ich habe als Kind dort gespielt, weil ich 1937 in der Kranoldstraße geboren wurde und dort aufwuchs. Die berühmte Kinderärztin Dr. Lassen hatte ihre Praxis in der Bruno Bauer Straße.
    Margot Sharma

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    • „Gehört die Bruno-Bauer-Straße zu Neubritz?“ Danach konnte ich mich am Freitagnachmittag, 01.10., direkt bei Verein proNeubritz erkundigen, als ich eine Info-Rallye (1) im Kiez besuchte. Historisch gehört die Bruno-Bauer-Straße, die zwischen Silbersteinstraße und Juliusstraße verläuft, tatsächlich voll und ganz zum ehemaligen Rixdorf (heute Ortsteil Neukölln). Der Name „Neubritz“ ist aber eine Marke, mit der heute das städtebauliche Sanierungsgebiet zwischen S-Bahnring, Teltowkanal, Karl-Marx- und Hermannstraße bezeichnet wird. Der Name „Neubritz“ geht auf eine alte Bezeichnung zurück, die einst Carl Weder schuf, der das Gebiet während der Gründerzeit städtebaulich entwickelte. Weder erwarb und parzellierte das Land rund um die spätere Bürgerstraße, um es an kleine Handwerksmeister zu verkaufen.

      Es ist also richtig, dass die Bruno-Bauer-Straße nicht in Britz liegt, sondern im Ortsteil Neukölln (historisch Rixdorf). Der Ortsteil Britz beginnt erst südlich der Britzkestraße. Neben den Ortsnamen Britz und Neukölln hat sich im Sanierungsgebiet allerdings der Markenname „Neubritz“ etabliert. Das ist zwar kein offizieller Ortsteilname wie Britz oder Neuköln, aber eine informelle und geläufige Bezeichnung, wie z.B. „Körnerkiez“ oder „Reuterkiez“. Bei weiteren Fragen gibt der Verein proNeubritz (2) sicherlich gerne Auskunft.

      Christian Kölling
      (1) https://facettenneukoelln.wordpress.com/2021/09/25/erstes-dezentrales-kiezfest-rund-um-die-glasower-strasse/
      (2) https://proneubritz.jimdofree.com/

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  2. Danke für diesen Artikel! Franz Skarbinas Bilder kannte ich schon, wußte aber nicht, daß er auch in Neukölln ein Ehrengrab hat. Das Bruno-Bauer-Buch gibt es derzeit nur in meinem Tante-Emma- bzw. Onkel-Herbert-Laden im Netz (www.worttransport.de).

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