„Wenn man hier von Gott spricht, sind schon viele raus. Wenn wir von Spiritualität sprechen, können sich viele wieder einbringen.“ Jasmin El-Manhy ist Pfarrerin im Evangelischen Kirchenkreis Neukölln und seit kurzem Geschäftsführerin des Projektes Startbahn. Das Ansehen und die Entwicklungschancen der evangelischen Kirche im Neuköllner Schillerkiez schätzt sie unprätentiös ein: „Mit ‚Startbahn‘ möchten wir die Genezareth-Kirche für den Kiez öffnen“, sagt die Pfarrerin, die zuvor sechs Jahre lang in der geschichtsträchtigen Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg gearbeitet hat.
Die Eröffnung des innovativen Kirchenprojektes wurde am vergangenen Wochenende zwei Tage lang rund um den Herrfurthplatz gefeiert: Am Sonnabendmittag öffnete die Genezareth-Kirche, deren Turm in den 1940er Jahren zweimal gestutzt wurde, weil er dem Flugverkehr auf dem benachbarten Tempelhofer Feld im Weg war, zur Besichtigung weit ihre Türen. Auf dem Vordach über dem Eingang spielte eine Gospelgruppe, die zahlreiche Neugierige anzog. Sonntag fand der Einführungsgottesdienst statt.
Ohne die Architektur zu verändern wurde der Kirchraum umgestaltet, um optische Symmetrien aufzubrechen. Wo früher schwarze Kirchbänke im Halbkreis standen, liegt nun ein großer runder Teppich mit bunten Kissen. Die Kirche soll auch als Ort für christliche Meditationen genutzt werden können. Zahlreiche Vorhänge an den Wänden verbessern die Akustik und vermitteln Gemütlichkeit. Die Kirchenemporen sind bunt gestrichen. Für Arbeitsgruppen wurden im Erdgeschoss Tafeln und Whiteboards angebracht. Im oberen Stockwerk stehen Pflanzen. Liegestühle und bequeme Kissen laden auch dort zum Aufenthalt ein. Das Mosaik gleich am Eingang wurde restauriert und liegt nun hinter einer Mooswand, sodass ein Raum für stille Gebeten entstanden ist. Die Kirche ist tagsüber für Andachten, Chorproben und Treffen aus anderen Anlässen immer geöffnet. Bestehende Angebote der Gemeinde und das Interkulturelle Zentrum Genezareth finden weiterhin in der Kirche Platz. Bei Bedarf können für Veranstaltungen auch 150 Stühle im Raum aufgestellt werden.
Ein wichtiger Akteur der „Startbahn“ ist das Segensbüro Berlin. „Vielen Menschen sind die Gemeindestrukturen der Kirche nicht bekannt. Wir verstehen uns als Verbindungsbüro mit überregionaler Bedeutung“, sagt Pfarrerin Susann Kachel, die das Büro leitet. Es gebe viele Anlässe um Segen zu spenden, nicht nur Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, führt Kachel aus und stellt weitere Segensangebote vor. Die Neuköllner Pfarrerinnen Lioba Diez und Anja Siebert-Bright gehören mit „Spirit & Soul“ ebenfalls zum Team der „Startbahn“. Sie bieten beispielsweise Meditationen auf dem Tempelhofer Feld, Gesprächsabende zu existentiellen Fragen und politische Nachtgebete an. Darüber hinaus stellen die Künstlerinnen Ulrike Flämig und Julia Bihl von „pio_near“ Neuköllner Kulturschaffenden die Kirche als temporäre Künstlerresidenz und Probemöglichkeit zur Verfügung. Das direkt neben der Kirche am Herrfurthplatz liegende Café Terz sowie das Diakoniewerk Simeon sind ebenfalls Kooperationspartner der Startbahn.
Nach der gelungenen und gut besuchten Eröffnung der „Startbahn“ wurde einen Tag später nachmittags der offizielle Einführungsgottesdienst mit Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein und dem Neuköllner Superintendenten Dr. Christian Nottmeier begangen. Grundlage für die Arbeit der „Startbahn“ ist eine Theologie der Stadt. „In der Stadt ist anders über Gott nachzudenken, wie Gott in unserem Zusammenleben wirkt“, lautet ihre Ausgangsthese. In der Verdichtung menschlicher Lebenswirklichkeiten sei die göttliche Dimension auf besondere Weise zu
erfahren. Pfarrerin Siebert-Bright, die einen Tag zuvor mit El-Manhy vor der Kirche Luftballons losgelassen hatte, startete am Ende des Sonntags-Gottesdienstes einen optimistischen Aufruf: „Kommt vorbei in der Genezareth-Kirche. Lasst euch nicht einreden, dass Neukölln auf irgendeine Weise merkwürdig ist. Es ist einer der schönsten Flecken in ganz Berlin.“
Online-Gottesdienst „Kirche für 1,5° C“ – Digitales Klimagebet“ am 21. September um 20 Uhr.
Der Gottesdienst steht in der Tradition des politischen Nachtgebets beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. Die Kollekte unterstützt Projekte für den Klimaschutz. Anmeldung über https://spiritandsoul.org/politisches-nachtgebet
Mitwirkende: Pfarrerin Lioba Diez und Pfarrerin Anja Siebert-Bright, Luisa Neubauer (Fridays for Future) und Anna Heinrich (Präses der EKD)
Filed under: berlin, kultur, neukölln | Tagged: cafe terz neukölln, christian nottmeier (superintendent kirchenkreis neukölln), generalsuperintendentin ulrike trautwein, genezareth-kirche, interkulturelles zentrum genezareth (izg) neukölln, pfarrerin anja siebert-bright, pfarrerin jasmin el-manhy, pfarrerin lioba diez, projekt "startbahn", segensbüro berlin |