Millionen Frauen, Männer und Kinder aus Gebieten, die während des Zweiten Weltkriegs besetzt waren, wurden in Deutschland vom NS-Regime als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Sie wurden unter den Augen der Zivilbevölkerung in allen Bereichen der Gesellschaft eingesetzt: Sie mussten in Tischlereien, Bäckereien und Brauereien, in Bekleidungsgeschäften, bei der Müllabfuhr, in der Landwirtschaft, in der Rüstungsindustrie, auf kirchlichen Friedhöfen und sogar in privaten Privathaushalten arbeiten. Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide schätzt, dass alleine im Berliner Stadtgebiet sich etwa 3.000 Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter befanden. An wenigen Stellen sind inzwischen Gedenkorte eingerichtet worden, so etwa auf einem Kirchhof an der Hermannstraße. Dagegen kümmerte sich die deutsche Geschichtsschreibung um dieses Thema jahrzehntelang kaum, und in der Nachkriegsgesellschaft wurde es beharrlich verschwiegen.
„Auch in unserer Siedlung konnte oder wollte sich lange Zeit niemand an die Existenz der Zwangsarbeiter erinnern“, sagte mir Jürgen Schulte von der am Sonnabend auf dem Platz vor der Hufeisentreppe. „Wir wollen deshalb daran erinnern: Rassismus und Missachtung der Menschenwürde sind Verbrechen! In unserer Siedlung haben sie keinen Platz“, so Schulte. Am 8. Mai, der als Tag der Befreiung vom Faschismus feierlich begangen wird, richtete die Initiative deshalb ihre Ausstellung „Zwangsarbeit in der Hufeisensiedlung – eine verdrängte Geschichte“ aus, um an das Unrecht der NS-Diktatur zu erinnern. Als Höhepunkt wurde nachmittags – einige hundert Meter von der Freiluft-Ausstellung entfernt – am Ort des ehemaligen Zwangsarbeiterlagers Onkel-Bräsig-Straße 6-8 eine provisorische Gedenktafel enthüllt. „Hier befand sich von 1941 bis 1945 ein Barackenlager für polnische und sowjetische Zwangsarbeiter*innen. Die 18 Männer und Frauen wurden zu Bau- und Instandhaltungsarbeiten in der Hufeisensiedlung eingesetzt“, steht auf dem kleinen Schild.
„Ich sage jede Unterstützung zu, dass aus dieser Tafel ein Dauerzustand wird“, versprach Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann den zahlreich erschienenen Kundgebungsteilnehmern, die sich an der Stavenhagener-/Onkel-Bräsig-Straße eingefunden hatten. Bisher sei das Gelände, auf dem sich heute eine Garagen-Anlage befindet, für ihn ein ganz gewöhnlicher Ort gewesen, räumte Biedermann ein: „Seitdem ich weiß, dass hier früher eine Zwangsarbeiter-Baracke stand, gehe ich mit ganz anderen Gedanken die Straße entlang.“ Mirjam Blumenthal, Kreisvorsitzende des DGB Neukölln und Co-Vorsitzende der SPD-Fraktion in der BVV Neukölln, berichtete aus dem Bezirksparlament: „Der Ausschuss für Bildung und Kultur hat bereits einem Antrag zugestimmt, der das Bezirksamt zur Anbringung einer Erinnerungstafel auffordert. Jetzt muss nur noch die BVV dem Antrag zustimmen.“ Die Tafel solle unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes an einem geeigneten Ort in unmittelbarer Nähe stehen. Seit einiger Zeit versuchten rechtsextreme Kräfte die Geschichte umzudeuten. Die dauerhafte Erinnerung an die Zwangsarbeiterlager und das große Leid der dort untergebrachten Menschen werde deshalb immer wichtiger (Drs. 58/XX).
Mit weit über einem Dutzend Informationstafeln gibt die Ausstellung der Initiative Hufeisern gegen Rechts einen ausführlichen Einblick in die NS-Zwangsarbeit: „Bemühte man sich zunächst, die Menschen anzuwerben, so änderte sich dieses spätestens mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941“, wird am Beginn der Ausstellung erklärt. „Wir wissen von 13 Haushalten der Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung, in denen Zwangsarbeit verrichtet wurde. Es gibt Beispiele für einen geradezu kollegialen Umgang, aber auch des Sklavenhaltertums. Es waren vor allem NS-Funktionäre, die in ihren Haushalten Zwangsarbeiter beschäftigten“, heißt es an anderer Stelle. Besonders berüchtigt waren die Eheleute Max und Margarete Arbeiter, die ab 1941 eine sowjetische Zwangsarbeiterin als Haushaltshilfe hatten. „Die eigenen Parteigenossen erhoben mehrere Male gegen Arbeiter Anzeige, als dieser in Gemeinschaft mit seiner Frau ein russisches Mädchen auspeitschte. Die Anklage wurde nicht angenommen, weil Arbeiter Blutordensträger war“, ist einer Tafel zu entnehmen.
„In der Hufeisensiedlung gab es auch nach 1933 immer noch ein gewerkschaftliches Milieu im Untergrund, das SPD oder KPD nahestand“, berichtete Schulte am Ende des Gespräches. Margarete Kubicka, Namensgeberin der Britzer Stadtbücherei, unterstütze beispielsweise von 1942 bis zum April 1945 die Zwangsarbeiter aus dem Lager in der Onkel-Bräsig-Straße, das vielleicht 100 Meter von ihrer Haustür entfernt lag. Mit ihrem Mittwochskreis, einer Gruppe antifaschistisch gesinnter Personen, sammelte sie nicht nur Lebensmittel, sondern vor allem Schuhe, Kleidung, Medikamente und Hygienematerial für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Selbst das war allerdings nicht ungefährlich, denn es bestand ein Umgangsverbot, dem zufolge mit Zwangsarbeitern aus Polen und der Sowjetunion kein Kontakt aufgenommen werden durfte, der über den Arbeitsrahmen hinaus ging.
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