Wie hat sich Neukölln in den letzten 100 Jahren verändert? Anhand von acht markanten Schauplätzen zeichnet das Museum Neukölln in seiner aktuellen Ausstellung „Großstadt Neukölln. 1920-2020“ den Wandel nach, den die einst größte Arbeiterstadt des Deutschen Reiches nach ihrer Eingemeindung zu Groß-Berlin erfuhr. Als Teil des Begleitprogramms zur Ausstellung führte Museumsleiter Dr. Udo Gößwald am vergangenen Mittwoch ein Gespräch mit der Stadtplanerin Dr. Cordelia Polinna und dem Neuköllner Stadtentwicklungsstadtrat Jochen Biedermann. Frage des Abends: Wie wird sich Neukölln bis zum Jahr 2050 entwickeln?
„Steigende Mieten, anhaltende Gentrifizierung, Klimawandel, Verkehrswende, Digitalisierung und demografischer Wandel sind einige Felder, in denen kreative Lösungen gefunden werden müssen, um Berlin und Neukölln weiterhin attraktiv und lebenswert zu gestalten“, skizzierte Gößwald zum Beginn seine Erwartungen an die Schwerpunkte der folgenden Diskussion, die unter dem Titel „Smart Green City? Zukunftsvisionen für Neukölln“ stand. „Das 100-jährige Jubiläum der Gründung von Groß-Berlin scheint nicht der geeignete Katalysator für innovative Konzepte zu sein. Bisher hat es den Anschein, dass der Bezirk nur bedingt in die Zukunft blickt. Auf gesamtstädtischer Ebene ist ebenso wenig Enthusiasmus zu verspüren, die Stadt von morgen zu denken“, kritisierte Gößwald.
„Mehr Planung ist nötig“, entgegnete Cordelia Polinna und empfahl, dass die Stadtplanung sowohl die innere Peripherie südlich des S-Bahnhofs Neukölln gestalten als auch das Potenzial rund um die Rudower Spinne entwickeln müsse. „Das dynamische Wachstum Berlins und die große Attraktivität der Innenstadt machen es erforderlich, den stadtplanerischen Blick verstärkt auf die Bereiche außerhalb des S-Bahnrings zu lenken“, erläuterte Polinna, die ihre
Vorstellungen ausführlich im Aufsatz „Strategien für Neukölln 2050“ dargelegt hat, der im Begleitband zur Ausstellung erschienen ist.
Bezirksstadtrat Jochen Biedermann dämpfte dagegen allzu hohe Erwartungen an Prognosen, die in die ferne Zukunft gerichtet sind. Er illustrierte seine Skepsis am Beispiel der Verkehrsplanung, die noch Mitte der 1980er Jahre in West-Berlin den Bau einer Stadtautobahn u. a. auf dem Gelände des Britzer Gartens vorsah. „Wir werden 2050 ein ganz neues Verständnis von Stadt haben. Autobahnpläne, die in Britz noch vor 30, 40 Jahren vorgesehen waren, sind heute unvorstellbar“, sagte Biedermann.
Nach der Konsolidierungspolitik im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts habe mit der Fußball-WM 2006 ein neuer Boom begonnen, der aber auch mit einem Ausverkauf der Stadt verbunden gewesen sei. „Im Zeitraum bis 2015 hätten wir in Neukölln weitblickender handeln müssen. Der schnelle Wandel ist in den Köpfen viel zu spät angekommen. Die Verwaltung war kaputtgespart“, kritisierte Biedermann. „Für die Zukunft wünsche ich mir mehr gemeinwohlorientierte Investoren, wie zum Beispiel Beispiel die Stiftung auf dem ehemaligen Kindl-Gelände“, lautete sein Fazit.
Die Ausstellung „Großstadt Neukölln. 1920 – 2020“ ist noch bis zum 4. April 2021 im Museum Neukölln (Alt-Britz 81) zu sehen; Öffnungszeiten: täglich 10 – 18 Uhr. Zur Ausstellung ist ein von Dr. Udo Gößwald herausgegebener Begleitband erschienen, der für 18 Euro Schutzgebühr erhältlich ist.
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