Still und leise, ohne die eigentlich übliche Vernissage, öffnete die Galerie im Saalbau am Montag nach zweimonatiger Zwangspause mit der neuen Ausstellung „Narratives Schweigen“, in der Arbeiten von acht Künstlerinnen und Künstlern gezeigt werden. „Die vergangenen Wochen sind vom unausweichlichen Rückzug ins Private geprägt und machen leise Töne wie durch einen Verstärker hörbar“, meldete sich die Galerie in einer Pressemitteilung zurück: „Die Aufmerksamkeit ist durch die eingeschränkte Bewegungsfreiheit und das Gefühl, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, auf die unmittelbare Umgebung verlagert und wirft die Frage nach neuen Bezugspunkten zu sich selbst und zur Außenwelt auf“, wird die Ausgangssituation des künstlerischen Neustarts charakterisiert.
Die Ausstellung, die die beteiligten Künstlerinnen Ina Geißler, Lätitia Norkeit und Natalia Raaben kuratierten, macht diese Umkehr der gewohnten Verhältnisse zum Thema: „Ist Schweigen gleichzusetzen mit Stille und der Abwesenheit vorn Worten, oder verbirgt sich mehr hinter dem Unhörbaren?“, fragen sie. Ergründet werden in der gut konzipierten Zusammenstellung unterschiedlichster Werke die vielen Bedeutungen des Schweigens, das anhaltend und vorübergehend, selbst erwählt und auferlegt, passiv und aktiv sein kann. Den Auftakt der Ausstellung „Narratives Schweigen“ bildet eine sogenannte Konstellation, die Eugen Gomringer, der als Begründer der konkreten Poesie gilt, unter dem Titel Schweigen 1952 schuf. In dieser Konstellation wird das Wort „schweigen“ in drei Spalten und fünf Zeilen vierzehn Mal wiederholt, so dass im Zentrum des Blocks eine Lücke klafft.
Ina Geißler zeigt ihre 2014 begonnene Arbeit „Narratives Schweigen“, die weiterhin fortlaufend als Mind Map aus Texten, Zitaten, Bildern, Zeichnungen und Cut-Outs im Prozess bleibt. Das slawische Märchen „Die Tochter des Schmiedes, die zu schweigen verstand“, gibt der offen erscheinenden Ansammlung von Assoziationen ein Struktur. „In dem Märchen geht es um die Befreiung aus gesellschaftlichen Vorgaben und das Wiedererlangen der eigenen Stimme paradoxerweise durch das schweigende Zurücktreten der Protagonistin“, wird im Begleitmaterial zur Ausstellung erklärt.
Lätitia Norkeit setzt sich in ihrer Installation (Ohne Titel, 2020) mit alltäglichen Artikulationen, Gedankenketten und Gesprächsfetzen auseinander, die sie in Beziehung zu digitalen Kommunikationsgeräten bringt. „Die einzelnen, eigens gebauten Textapparaturen vertreten einen Denkmechanismus, der rezitiert und erinnernd Monologe hält. Die Texte schildern Situationen des ‚Verstummens‘, ‚innerer
Ruhe und Stille‘ oder ‚Wortlosigkeit‘“, heißt es im Begleitmaterial weiter.
Einen farbenfrohen Block aus chronologisch geordneten Briefumschlägen hat Lena Oehmsen mit ihrer autobiographischen Arbeit „Erich – Ferner Abschied“ geschaffen. Die Umschläge stammen aus dem fünfjährigen Briefwechsel, den die damals im Ausland lebende Enkelin mit der Großmutter führte. Sigrun Drapatz bringt Worte, die in Gebetsketten des Buddhismus, des Islam sowie des katholischen und orthodoxen Christentums verschlüsselt sind, visuell mit sogenannten Phonokalligrafien zum Erklingen. Weitere Arbeiten von Harald Stoffers, Myriam El Haik und Etienne Dietzel beschäftigen sich mit Briefen, Schriftzeichen und dem Kammerton A, einem Standardwert, der bei einer Frequenz von 440 Hertz die Bezeichnung DIN 1317 trägt.
Die Ausstellung „Narratives Schweigen“ ist bis zum 2. August in der Galerie im Saalbau (Karl-Marx-Str. 141) zu sehen. Öffnungszeiten: täglich 10 – 20 Uhr
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