Operette für alle: Das Ensemble ConTutti bringt „Die Fledermaus“ in den Heimathafen Neukölln

In der glamourösen Wiener Staatsoper gehört sie zum Repertoire und steht seit Silvester 1900 am Beginn des Jahres regelmäßig auf dem Spielplan. Im großen Saal des Heimathafens Neukölln dagegen – wo früher ein Theater der einfachen Leute war, das in den 1930er Jahren als Kino umfunktioniert wurde – verzauberte am vergangenen Montagabend die bekannteste Operette des Komponisten Johann Strauß wahrscheinlich zum ersten Mal. Mit einer erfolgreichen Premiere der Fledermaus im ausverkauften Haus brachte das Ensemble ConTutti, ein gemeinnütziger Verein von Studierenden der Universität der Künste Berlin und der Hochschule für Musik Hanns Eisler, die populäre Operette des Walzerkönigs wieder nach Neukölln. Verdienter Beifall am Ende für alle Akteure und ein kräftiger Szenenapplaus für die Koloraturen der Sopranistin Birita Poulsen in der Rolle des Dienstmädchens Adele.

„Die Fledermaus“ hatte an der Karl-Marx-Straße zuletzt im Januar 2017 die benachbarte Neuköllner Oper in einer zeitgemäßen Interpretation aufgeführt. ConTutti trat erstmals mit Webers Oper „Der Freischütz“ im Februar 2019 auf der Bühne des Heimathafens auf. Für ihre zweite Aufführung warben die jungen Musikerinnen und Musiker, die alle unter 25 Jahre alt sind, mehr als 3.000 Euro über eine Crowdfunding-Plattform ein, um die Ausgaben für Noten, Leihinstrumente, Bühnenbild, Requisiten und Kostüme zu finanzieren.

„Wir schätzen die Zusammenarbeit mit dem Heimathafen Neukölln sehr. Als Noch-Studierende wollen wir eine Brücke zu noch jüngeren Menschen bauen, die sonst keinen Zugang zur klassischen Musik haben“, sagte Dramaturg Konstantin Parnian, der eine halbe Stunde vor dem Beginn der Vorstellung eine Einführung gab. Die Produktion der Fledermaus nutzte das Ensemble, zu dem auch viele Lehramtsstudierende gehören, um erstmalig theaterpädagogisch in der Probebühne des Heimathafens mit einer Schulklasse zu arbeiten. „So konnten Berührungsängste gegenüber klassischen Kulturprojekten abgebaut und die Neugierde auf die Welt des Theaters geschürt werden“, vermerkte das Ensemble im umfangreichen Programmheft zur Aufführung.

„Die Operette sieht sich zu Unrecht oft dem Vorwurf der Banalität ausgesetzt. Dabei wird ihre eigentlich gesellschaftskritische Dimension außen vor gelassen. Die Operette ist mit der Tradition der Altwiener Komödie verknüpft, welche nicht zufällig ihre Blüte zu Zeiten des Vormärz erlebte“, erklärte Parnian weiter. „Die Fledermaus“ begeistere dabei nicht nur mit ihrer wuchtigen Musik, sondern ihre Figuren und Charaktere besäßen auch heute noch einen aktuellen Zeitbezug. Im Orchestergraben und auf der Bühne bewiesen anschließend Dirigent Gregor Böttcher und Regisseur Tilman aus dem Siepen, beide Jahrgang 1998, zusammen mit dem Ensemble, dass Dramaturg Konstantin Parnian in seiner Einführung nicht zuviel versprochen hatte.

Gähnende Langeweile beherrscht im ersten Akt der Operette das Leben des Rentiers Gabriel von Eisenstein, seiner Frau Rosalinde und ihres Dienstmädchens Adele, die von Sotiris Charalampous, Sonja Isabel Reuter und Birita Poulsen gespielt werden. Rosalinde sehnt sich heimlich nach ihrem früheren Geliebten Alfred, Collin Schöning. Gabriel sieht einem einwöchigen Gefängnisaufenthalt wegen Beamtenbeleidigung entgegen. Und Adele würde gerne ein paar Tage Urlaub nehmen, um die angeblich todkranke Tante zu pflegen. Doch Dr. Falke, ein Bekannter Eisensteins mit dem Spitznamen Fledermaus, den Carlo Nevio Wilfahrt verkörpert, bringt im zweiten Akt bei einem rauschenden Kostümball die drei unbemerkt zusammen. Gastgeber des ausschweifenden Gelages ist der exzentrische Prinz Orlofsky, dessen Rolle im Kostüm eines Riesenbabies die Mezzosopranistin Ivon Mateljan spielt. Im dritten Akt treffen alle zur Auflösung der Intrigen bei Gefängnisdirektor Frank, Christian Moellenhoff, und dem zu Unrecht einsitzenden Alfred zusammen. Am Ende hat sich Falke erfolgreich für eine früher erlittene Demütigung gerächt. Eisenstein ist moralisch ruiniert. Nur Adele, der eine Karriere als Schauspielerin winkt, steht als Gewinnerin da, was sicher schon früher in Rixdorf die Besucher des Theaters für einfache Leute gefreut hätte.

„Die Fledermaus“ wird heute zum letzten Mal im Heimathafen Neukölln (Karl-Marx-Str. 141) aufgeführt; Eintritt: 18 Euro/erm. 12 Euro. Die Vorstellung beginnt um 20 Uhr (Einlass ab 19 Uhr); um 19.30 Uhr findet eine Einführung statt.

=Christian Kölling=

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