Pilotprojekt zur Aussetzung von Hartz-IV-Sanktionen: SPD-Fraktion sorgt in der BVV Neukölln für Überraschung

Eigentlich waren alle Unklarheiten beseitigt: Im Februar hatte die Bezirksverordnete Doris Hammer für die Fraktion Die Linke im Neuköllner Bezirksparlament einen Antrag eingebracht, mit dem das Bezirksamt gebeten werden sollte, sich bei den zuständigen Stellen dafür einzusetzen, dass im Jobcenter Neukölln im Rahmen eines befristeten zweijährigen Pilotprojektes auf Sanktionen gegenüber Beziehern von Leistungen nach SGB II verzichtet wird.

„Mehr als Dreiviertel aller ausgesprochenen Sanktionen werden in Neukölln aufgrund reiner Meldeversäumnisse verhängt. Sanktionen wegen Nichtannahme einer Tätigkeit sind selten“, begründete Hammer ihren Antrag 1185/XX „Sanktionen im Jobcenter Neukölln aussetzen“. Zudem seien von etwa 950.000 Sanktionen, die (Update) die Jobcenter in Deutschland zwischen Juni 2017 und Mai 2018 ausgesprochen habe, nur insgesamt drei Prozent der Leistungsbezieher betroffen, da es sich häufig um Mehrfach-Sanktionen handele. „Gerade bei Jugendlichen verkehrt sich aber der beabsichtigte pädagogische Effekt der Leistungskürzung ins Gegenteil, da sie besonders hart bestraft werden, und sie sich dann oft der ‚Umklammerung‘ durch das Jobcenter mittels Abmeldung entziehen, sodass sie nicht mehr angesprochen werden können“, führte die sozialpolitische Sprecherin der Linken ihre Erfahrungen aus der Praxis an. (Update) In der Begründung zu ihrem Antrag führte die Bezirksverordnete Doris Hammer die bundesweite Gesamtzahl an, reichte aber folgende Zahlen für Neukölln nach: „Die Zahlen für das Jobcenter Neukölln Mai 2017/April 2018. In diesem Zeitraum gab 19.134 Sanktionen (hiervon wurden 7.249 bereits einmal sanktioniert) davon allein 16.854 wegen Meldeversäumnissen weitere 854 wegen Weigerung der Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, AGH oder Maßnahme der Rest verteilt sich z.B. auf Sanktionen wg. Nichtwahrnehmung eines Termins beim psychlogischen Dienst, unwirtschaftlichem Verhaltens, Verminderung des Einkommens etc. Damit war Neukölln auch bei den Sanktionen Spitzenreiter im Vergleich zu den anderen Bezirken. Die Zahlen für den Zeitraum Mai 2018/April 2019 16.051 Sanktionen, davon 14.256 Meldeversäumnisse und 564 wegen Ablehnung einer Arbeit, Ausbildung, AGH oder Maßnahme.“

Auf der BVV-Sitzung am 14. August folgte die Überraschung: Bei der Abstimmung enthielten sich 12 Verordnete der SPD der Stimme; 6 Sozialdemokraten lehnten den Antrag ab. „Entgegen der Ausschussempfehlung – der sie selbst zugestimmt hatte – zog die SPD ihre Unterstützung zurück. Ohne Absprache, ohne nachvollziehbare Gründe“, kritisierte anschließend die BVV Fraktion der Linken in einer Stellungnahme. „Der Rückzieher der SPD schadet den Menschen, die aufgrund von Sanktionen unter das Existenzminimum fallen“, kommentierte die Linke Neukölln auf ihrer Webseite und kündigte an, weiter für die respektvolle Behandlung aller Menschen zu kämpfen. „Die SPD nimmt mit ihrer Ablehnung Wohnungslosigkeit durch Leistungskürzungen in Kauf“, warnte alarmiert die Linke.

=Christian Kölling=

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