„Wir müssen die Sonnenallee dringend umgestalten!“

„Es gilt viel zu oft das Recht des Stärkeren auf der Sonnenallee. Radfahren ist hier der blanke Horror. Das wollen wir nicht länger hinnehmen!“ Die Rednerin des Netzwerkes Fahrradfreundliches Neukölln bekommt viel Applaus für ihre Ansprache, die sie bei der Zwischenkundgebung auf der Kreuzung Sonnenallee/Weichselstraße hält. Mehrere Hundert Menschen sind an diesem Sonnabendnachmittag am Hermannplatz aufgebrochen, um unter dem Motto „Demonstrieren und Flanieren“ bis zum S-Bahnhof Sonnenallee zu bummeln. Die Veranstalter wollen mit der „Blockparade Nummer 4: Verkehrswende sofort!“ für drei Stunden die Sonnenallee vom Autoverkehr befreien und zeigen, wie schön der Boulevard ohne Autos sein könnte. An jeder größeren Kreuzung stoppt der Demonstrationszug, der die rechte Spur stadtauswärts nutzt, für kleine Kundgebungen. Wären mehr Teinehmer gekommen, hätte auch die andere Fahrbahn der Sonnenallee genutzt werden können, auf der jetzt aber der Autoverkehr in Richtung Hermannplatz rollt.

„Die Sonnenallee ist voll mit chaotischem Parkverkehr. Es gibt bisher keinen Schutzstreifen für Radfahrer und auf den viel zu schmalen Gehwegen drängeln sich die Fußgänger: Freie Fahrt für viel zu viele Autos. Sieht so die Verkehrswende aus?“, fragt ein zweiter Redner rhetorisch und listet die Forderungen der Demonstration nach geschützten Radspuren, Tempo 30, Parkraumbewirtschaftung, Verbreiterung der Gehwege und Vorrang für den öffentlichen Personennahverkehr auf. Die vom Hauptbahnhof kommenden Metro-Busse der Linie M41 sind chronisch überfüllt, weil Reisende mit Gepäck, Eltern mit Kinderwagen sowie Menschen mit Rollstuhl oder Rollator die Linie gleichermaßen gerne nutzen. Vor fünf Jahre wurde darüber sogar ein peppiger Protestsong geschrieben, der aber bis heute nicht wirklich geholfen hat. Irgendwann einmal soll eine Straßenbahn den M41 ersetzen. Weiter vorangeschritten sind dagegen die Planungen zur Verlängerung der Tram M10 von der Warschauer Brücke bis zum Hermannplatz.

„Wir müssen die Sonnenallee dringend umgestalten! Der Straßenbahnbau kann eine Chance zur Neuaufteilung des Straßenraumes sein“, fordert der Redner. „84 Prozent aller Einkäufe passen in einen Fahrradkorb“, erklärt er weiter, um die Leistungsfähigkeit des Radverkehrs zu illustrieren. Auch die Luftbelastungen sowie der Lärm am Hermannplatz und in der Sonnenallee werden nicht vergessen. Plakate und Reden machen deutlich, dass der Protest sich vor allem aber grundsätzlich gegen die jahrzehntelang ausschließlich autogerecht gestaltete Verkehrspolitik richtet. Sie hat nicht nur die Aufenthaltsqualität der Innenstädte gemindert, sondern bei Autofahrerinnen und Autofahrern das Gefühl genährt, ganz besonders privilegiert zu sein: Viele Autofahrer finden es völlig selbstverständlich, dass sie öffentliche Straßen für private Zwecke nutzen, dabei Lärm machen und Raum beanspruchen, als ob es ein Naturrecht wäre; und einen kostenlosen Stellplatz am Straßenrand vor der eigenen Haustür beanspruchen sie noch dazu. Erfreulich: Ohne Zwischenfälle erreichte der Protestzug, dem sich u. a. auch die Volksinitiative Klimanotstand Berlin angeschlossen hatte, den S-Bahnhof Sonnenallee, nicht weit von der gerade im Bau befindlichen Verlängerung der Stadtautobahn A 100.

=Christian Kölling=

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