Berlin ist zwar für eine starke politische Protestkultur und eine vielfälitige Selbsthilfebewegung bekannt, aber eine gut entwickelte Partizipationskultur ist deshalb längst noch nicht in der Stadt und ihren Bezirken verankert. Ganz im Gegenteil: Vertrauen, Verbindlichkeit und Verantwortung werden bei formellen und informellen, bei gesamtstädtischen wie auch bei bezirklichen Beteiligungsprozessen auf allen Seiten gleichermaßen vermisst – wenn auch aus den unterschiedlichsten Gründen. Die Regierungskoalition aus SPD, Linken und Grünen beschloss deshalb im Herbst 2016 die Entwicklung von Leitlinien zur Verbesserung der Bürgerbeteiligung. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, die im Senat federführend für das Verfahren zuständig ist, stellte am Montagvormittag in der Stadtwerkstatt am Alexanderplatz die „Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Stadtentwicklung“ der Öffentlichkeit vor. Nach der Sommerpause müssen die Leitlinien vom Berliner Parlament verabschiedet werden. Insgesam 2,2 Millionen Euro sind zu ihrer Umsetzung im Berliner Doppelhaushalt 2020/21 vorgesehen.
Ein 24-köpfiges Arbeitsgremium, dem Vertreterinnen und Vertretern der Politik, Verwaltung und Bürgerschaft angehörten, erarbeiteten die Berliner Leitlinien in regelmäßigem Austausch mit der Öffentlichkeit. Auch in Neukölln wurde 2018 ein Werkstatt-Treffen ausgerichtet. Bei dem Arbeitsgremium wirkte u.a. die Neuköllner Abgeordnete Dr. Susanna Kahlefeld, die auch Vorsitzende im Ausschuss für Bürgerschaftliches Engament des Berliner Abgeordenetenhauses ist, ebenso mit, wie die beiden Experten der Bürgerschaft Kerstin Njoya, Quartiersrätin der High-Deck-Siedlung und Elternvertreterin, sowie der stadtpolitisch engagierte Architekt Matthew Griffin. Die drei waren als Sprecher der Arbeitsgruppe ebenfalls zur Pressekonferenz gekommen.
„Mit den Leitlinien für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der räumlichen Stadtentwicklung wird Berlin ein wichtiger Schritt hin zu mehr Partizipation und damit auch zu mehr Demokratie gelingen. All das ist kein Hexenwerk und keine Raketenwissenschaft, sondern fasst die Erfahrungen mit Bürgerbeteiligung gut zusammen“, pries Senatorin Lompscher das Arbeitsergebnis und dankte den Beteiligten, die mehr als 2.000 Stunden ehrenamtliche Arbeit in das Projekt investierten.
Ganz grundsätzlich und umfassend sollten die Leitlinien sich positiv auf die Partizipationskultur auswirken – von der Renovierung einer Schule bis zum Bau eines Stadtquartiers, betonten auch Kahlefeld, Njoya und Griffin. Die Berlinerinnen und Berliner wollten bei der Zukunft ihrer Stadt mitreden. Und die Leitlinien würden dafür die Rahmenbedingungen schaffen Es gehe um besseren Zugang zu Informationen, um mehr Verständnis füreinander und darum, dass Interessen frühzeitig eingebracht und diskutiert werden könnten.
Einer Anlaufstelle für Bürgerbeteiligung, für die im Haushaltsplan 2,2 Millionen Euro bereit stehen, soll als Instrument der Leitlinien eine Schlüsselrolle einnehmen. Sie soll eine Schnittstelle zwischen Gesellschaft und Verwaltung sein, wo sich Bürger sowohl informieren als auch Vorschläge einbringen können. Zweiter zentraler Baustein wird eine Vorhabenliste in Form einer interaktiven Karte sein. Hier können sich alle informieren,welche Projekte der Stadtentwicklung derzeit laufen, welche Auswirkungen sie haben und welche Beteiligungsmöglichkeiten es gibt oder auch nicht gibt. Unverzichtbarer Bestandteil jeder Beteiligung soll ebenso ein Beteiligungskonzept werden. Aus ihm wird deutlich, worum es geht, wie die Beteiligung abläuft, wer mitwirken kann und wie die Ergebnisse in das Vorhaben einfließen. Ein Beirat wird schließlich die Umsetzung der Leitlinien begleiten sowie zielgruppenspezifische Empfehlungen zur Beteiligung geben. Die Partizipation an einem ausschließlich für Jugendliche konzipierten Projekt wird also beispielsweise anders aussehen als die Beteiligung an einem großen Bauvorhaben für die gesamte Bevölkerung.
Neben viel Zustimmung gab es aber auch bereits Kritik an den Leitlinien. Die Berliner Stadtplanungsämter in den Bezirken monierten in einem offenen Brief an die Senatorin, dass die personellen Kapazitäten für die Bürgerbeteiligung in den Bezirken nicht ausreichend seien. „Wir haben das Problem der Bezirke erkannt“, sagte Kahlefeld, die vor ihrer Abgeordnetentätigkeit selbst rund 10 Jahre lang Bezirksverordneten in Neukölln war. Aber auch in der Bezirkspolitik gebe es Widerstände,erklärte mir die Grüne Landesparlamentarierin in einem Gespräch nach der Pressekonferenz: „Die SPD in Neukölln blockiert den Beschluss, auch im Bezirk ein kommunales Leitbild Bürgerbeteiligung zu entwickeln“, sagte Kahlefeld und beklagte, dass eine entsprechende Initiative der Grünen BVV-Fraktion im Bezirksparlament nicht voran komme. „Zwar erhalten Bürger und Initiativen seit vielen Jahren ein Rederecht in den Ausschüssen, um ihr Anliegen den Bezirksverordneten vorzutragen, aber das ist nur eine Schmalspur- und Hungerleiderbeteiligung“, kritisierte Kahlefeld zudem.
Neun Grundsätze, die in Berlin zukünftig bei der Bürgerbeteiligung gelten sollen
1. Gut miteinander umgehen
2. Beteiligung stärken
3. Entscheidungsspielräume festlegen und Ergebnisoffenheit garantieren
4. Frühzeitig informieren und einbeziehen
5. Viele Verschiedene beteiligen
6. Für Information und Transparenz sorgen
7. Ergebnisse verbindlich rückmelden
8. Ausreichende Mittel bereitstellen
9. Leitlinien weiterentwickelnLeitlinien für Beteiligungsprozesse aus Heidelberg, Potsdam, Berlin-Mitte sowie aus Freiburg, Stuttgart, Graz und für den Trialog der Landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften Berlin sind außerdem zu finden unter https://leitlinien-beteiligung.berlin.de/was-sind-leitlinien-für-bürgerbeteiligung/
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