„Steht zu uns, helft uns, greift ein!“: Appell einer deutschen Jüdin aus Berlin gegen alltäglichen Antisemitismus

Egal ob in Prenzlauer Berg oder in Neukölln, vor Antisemitismus ist man nirgendwo mehr sicher! Mit dieser erschütternden, vielleicht aber auch aufrütteln-den Feststellung endete gestern Nachmittag eine Lesung mit anschließender Publikumsdiskussion im Hufeisencafé in Britz. Juna Grossmann, deutsch-jüdische Netzkolumnistin und Autorin aus Berlin, war auf Einladung der Anwohner*inneninitiative Hufeisern gegen Rechts in das bis auf den letzten Platz vollbesetzte Café in der Fritz-Reuter-Allee gekommen, um aus ihrem kürzlich erschienenen Buch „Schonzeit vorbei“ zu lesen.

„Ich kam auf die Idee, Juna Grossmann nach Britz einzuladen, als ich sie bei einer Literaturlesung in der Rudower Buchhandlung Leporello erlebte“, berichtete Veranstalter Jürgen Schulte: „Alltäglicher Antisemitismus ist schließlich auch in Britz ein Thema.“ Jüngster Beweis: Ein Plakat, das an der Info-Säule der Hufeisensiedlung auf die Lesung aufmerksam machte, war in der Nacht zum Montag von Unbekannten vollständig zerstört worden.

Grossmann beschreibt in ihrem Buch „Schonzeit vorbei“ eine erschreckende Vielfalt von antisemitischem Verhalten und Reden. Im Jüdischen Museum in Berlin, wo die Autorin als Besucher-Betreuerin arbeitete, veränderte sich die Stimmung spürbar in den Jahren 2001/2002. Verhaltensregeln im Museum deuteten einige Besucher als Rache für den Holocaust. Immer häufiger muss sie sich von anderen Deutschen fragen lassen, wann sie in ihre vermeintliche Heimat – nach Israel – zurückgehe. „Seit ich einen Davidstern als Anhänger trage, höre ich Sachen … Das kann man sich gar nicht ausdenken“, sagte Grossmann. „Vor Hass-Mails hatte ich erstaunlicherweise lange Zeit Ruhe“, fügte die Autorin an, die seit 2008 ihren Blog „irgendwie juedisch“ betreibt. Erst 2014, zu einer Zeit als auf Anti-Israel-Demonstrationen in Berlin „Juden ins Gas schicken“ geschrieen wurde und nichts dagegen unternommen worden sei, habe sich das geändert. „Ab diesem Moment ging es los“, erinnerte sich Grossmann an die ersten Hass-Kommentare. „Steht zu uns, helft uns, greift ein!“, fordert sie ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, sich nicht mit alltäglicher Judenhetze abzufinden, sondern stattdessen persönliche Begegnungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen zu intensivieren.

Juna Grossmann engagiert sich deshalb u. a. auch in der Initiative „Rent a Jew“, die ehrenamtliche jüdische Referenten an Bildungseinrichtungen wie Schulen, Volkshochschulen oder Kirchengemeinde vermittelt, um durch Dialog das oft abstrakte Bild von Juden aufzubrechen und ihnen ein Gesicht zu geben. „Im Fokus der Begegnungen stehen das aktuelle jüdische Leben in Deutschland, persönliche Einblicke in den jüdischen Alltag und die Möglichkeit, Fragen zu stellen“, schreibt die Initiative auf ihrer Webseite. Die Referenten sollen einen Querschnitt der jüdischen Bevölkerung in Deutschland darstellen, von säkular über liberal bis orthodox, von der Studentin bis zum Rentner.

Um ins Gespäch zu kommen, hat die Initiative auch an eine mögliche Einstiegsfrage gedacht: „Rent a Jew?! Menschen mieten? Darf man sich so nennen?“ Ihre Antwort ist eindeutg: „Wir glauben, dass Humor gemischt mit ein bisschen Chuzpe das beste Mittel ist, um ins Gespräch zu kommen.“

=Christian Kölling=

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