„Was ich mir zum neuen Jahr wünsche? Frieden!“

Gute Vorsätze und Wünsche gehören ebenso zum Jahresanfang wie ein neuer Kalender. In Berlin leben Menschen aus der ganzen Welt mit verschiedenen Kulturen, Religionen und Traditionen zusammen. Für viele ist es deshalb wichtig und wissenswert, auf welche Tage die Hauptfeste von Nachbarn, Kunden, Kollegen, Geschäftspartnern oder Mit-schülern fallen. Weil nicht auf jedem Kalender die wichtigsten Fest- und Feiertage aller Welt-religionen sowie die bedeutendsten internationalen Gedenktage verzeichnet sind, gibt das Land Berlin alljährlich einen Interkulturellen Kalender heraus, um das gegenseitige Miteinander zu fördern.

Kürzlich traf ich Yonathan Weizman, der im Büro des Morus 14 e. V. in der Werbellinstraße 41 als Leiter des Projekts Shalom Rollberg arbeitet. Seine Initiative fördert Begegnungen zwischen den Einwohnern des Rollbergviertels, die aus 30 Nationen stammen, und trägt so zum Abbau gegenseitiger Vorurteile bei. Ich fragte ihn, welche Bedeutung der jüdische Kalender in seinem Leben besitzt und welche Wünsche er für das neue Jahr 2019 nach gregorianischer Zeitrechnung hat; Frieden, sagte Weitzman, sei der wichtigste.

Wir benutzen in Israel zwei Kalender, den jüdischen und den christlichen Kalender. Nur orthodoxe Juden orientieren sich ausschließlich am hebräischen Kalender. Im Alltag werden Termine beim Arzt oder persönliche Verabredungen nach dem europäischen Kalender ausgemacht. Auch meinen Geburtstag feiere ich am 27. Juli. Silvester wird in Israel allerdings nicht gefeiert – außer bei der christlichen Minderheit im Land. Der Neujahrstag am 1. Januar ist kein Feiertag“, gibt mir Yonathan Weizman einen ersten Überblick. Anders als der christliche Kalender ist der jüdische ein Lunisolarkalender. Er richtet sich nach dem Mond, wird aber durch den regelmäßigen Einschub eines Schaltmonats so korrigiert, dass die Monate in die gleiche Jahreszeit fallen. Der Tag beginnt im Judentum bereits am Abend mit Einbruch der Dunkelheit und dauert bis zur nächsten Abenddämmerung – bzw. bis 18 Uhr – an. Die Jahreszählung orientiert sich an der Schöpfung der Welt, die nach der jüdischen Überlieferung im Jahre 3761 vor der christlichen Zeitrechnung abgeschlossen war. Wir leben nach hebräischer Zeitrechnung also augenblicklich im Jahr 5779.

„Das Neujahrsfest Rosch Haschana, das stets zwischen September und Oktober im hebräischen Monat Tischri begangen wird, ist – anders als in Europa – mehr ein Familienfest“, erklärt mir Yonathan Weizman weiter. „Wir besuchen die Synagoge, wo das Schofar, ein aus Widderhorn fabriziertes Musikinstrument, geblasen wird. Zuhause gibt es ein großes Abendessen mit der Familie und zum Nachtisch werden Äpfel mit Honig oder Datteln serviert.“ Nach dem Neujahrstag Rosch Haschana, der wörtlich übersetzt „Kopf des Jahres“ bedeutet, dienen die zehn Tage bis zum Jom Kippur der Besinnung und Reflexion, dem Gebet, der Wohltätigkeit. „Jom Kippur ist der wichtigste jüdische Feiertag. Es ist ein Tag der Meditation und der Sühne. Auch viele Juden, die es sonst mit der Religion nicht so genau nehmen, gehen an diesem Tag in die Synagoge und fasten“, berichtet Weizman vom Leben in Israel. Wenige Tage später, am 15. Tischri, beginnt das Laubhüttenfest Sukkot. Es ist ein Dankfest für das Einbringen der Ernte und erinnert an die Wüstenwanderung der Israeliten nach ihrem Auszug aus Ägypten.

Zwei Monate später, in zeitlicher Nähe zur christichen Adventsszeit, beginnt am 25. Kislew das achttägige Tempelweihfest Chanukka. Es gehört nicht zu den biblisch vorgeschriebenen Feiertagen, sondern erinnert an den erfolgreichen Aufstand der Makkabäer gegen die hellenistische Herrschaft. Einer Erzählung aus dem Talmud zufolge wurde im zerstörten Tempel ein einziges kleines Kännchen Öl gefunden, das auf wundersame Weise den Tempelleuchter für acht Tage und Nächte erleuchtete. Deshalb werden beim winterlichen Chanukka-Fest, das im vergangenen Jahr auch in Berlin am Brandenburger Tor gefeiert wurde, an acht Abenden die Chanukka-Lichter entzündet. Gern werden zum Fest in Öl gebackene Köstlichkeiten gegessen, um an die außergewöhnliche Ergiebigkeit des Öls beim Chanukka-Wunder zu erinnern.

Yonathan Weizman, der mit einer polnischen Christin verheiratet ist und ein Kind hat, sagt: „Weihnachten ist immer eine Herausforderung. Beide Feste bestehen nebeneinander, wir singen Weihnachts- und Chanukka-Lieder, aber wir müssen uns entscheiden, was und wo wir feiern. Im letzten Jahr sind wir zum Chanukka-Fest in Israel gewesen. In diesem Jahr werden wir nach Polen zu der Familie meiner Frau fahren, um dort Weihnachten zu feiern.“

Im Frühjahr folgt das nicht-biblische Purim-Fest, das vor allem bei Kindern sehr beliebt ist, weil Verkleidungen wie im Karneval üblich sind. Das Pessach-Fest, das an die Befreiung aus der Sklaverei und den Auszug aus Ägypten gedenkt und in zeitlicher Nähe zum christlichen Osterfest liegt, sowie das Schawout-Fest im Sommer, das an die Verkündung der 10 Gebote am Berg Sinai erinnert, schließen die Reihe der Feiertage des hebräischen Kalenders ab.

„In wenigen Tagen, am Abend des 20. Januars, beginnt übrigens Tu Bischwat, das Neujahrsfest der Bäume. Tu Bischwat bedeutet wörtlich der 15. Tag des Monats Schwat“, sagt mir Yonathan Weizman am Ende des Gespräches. Ursprünglich markierte der Tag das Ende der Regenzeit und den Beginn der Pflanzperiode in Israel. Inzwischen ist Tu Bischwat vor allem ein nationaler Feiertag, der der Beschäftigung mit Umweltschutz und nachhaltigem Wirtschaften gewidmet ist.

=Christian Kölling=

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