„Wir müssen zeigen, in welcher Weise und mit welchen Mitteln die Demokratie in Deutschland 1933 abgeschafft und Minderheiten ausgegrenzt und verfolgt wurden. Dadurch können Schülerinnen und Schüler dafür sensibilisiert werden, wie wichtig es ist, Menschen-rechte und demokratische Freiheiten immer wieder, auch hier und heute, zu verteidigen.“ Mit diesen Worten stellte Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres am Montagvormittag gemeinsam mit Doreen Siebernik, Vorsitzende der GEW Berlin, einen beachtenswerten Forschungsbericht vor, der die sogenannte „Gleichschaltung“ der Lehrerverbände sowie die Diskriminierung und Verfolgung Berliner Lehrkräfte im Nationalsozialismus dokumentiert. Aus gutem Grund fand die Buchpräsentation im Ernst-Abbe-Gymnasium, Neuköllns ältestem Gymnasium, statt. 1899 wurde es im damaligen Rixdorf gegründet und in der Weimarer Republik unter dem Namen Karl-Marx-Schule als Vorreiter der Reformpädagogik von Fritz Karsen in ganz Deutschland bekannt.
Insgesamt 51 Lehrerinnen und Lehrer der Reformschule litten nach der Verabschiedung des sogenannten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, das im April 1933 die rechtsförmliche Grundlage schuf, um Lehrkräfte aus rassistischen oder politischen Gründen aus dem Dienst zu entfernen oder zu degradieren, unter Repressionen, wie die Historiker Dr. Simone Ladwig-Winters und Hans Bergmann in ihrer Studie detailliert auflisteten. Zwar gab es in Berlin an 131 der 155 öffentlichen höheren Schulen Zwangsmaßnahmen gegen Lehrerinnen und Lehrer, an den meisten Schulen betraf es aber wenige Lehrer. Der Untersuchungsbericht beschreibt 468 Einzelschicksale und ordnet diese anhand von Tabellen damaliger und heutiger Schulnamen den Schulen zu. Schülerinnen und Schüler
haben so die Möglichkeit, am konkreten Beispiel nachzuforschen, welche Spuren diese Lehrkräfte an ihren Schulen hinterlassen haben.
Am Ernst-Abbe-Gymnasium haben Jugendliche bei der historischen Spurensuche bereits Erfahrungen sammeln können. Sie recherchierten in einer AG Politik/Geschichte mit ihrem Lehrer Jan Ebert das Schicksal der jüdischen Familie Kantorowsky und regten die Verlegung eines Stolpersteines für Hans Erich Kantorowsky an, der an der Karl-Marx-Schule das Abitur machte und im September 1943 in Auschwitz ermordet wurde.
Doreen Siebernik ermunterte die Jugendlichen aller Schulen ausdrücklich zur Quellenforschung und sagte: „Die in der Untersuchung vorgestellten menschlichen Schicksale machen Geschichte lebendig. Wir hoffen, dass das enthaltene Material bei der pädagogischen Arbeit vor Ort helfen kann. Viele Schulen haben Archive, die bis in die damalige Zeit zurückrechen. Vielleicht geben diese Archive auch etwas über die verfolgten Lehrkräfte und ihre Schicksale her.“
Die 450-seitige Studie „Der Prozess der „Gleichschaltung“ der Lehrer-verbände sowie die Diskriminierung und Verfolgung Berliner Lehrkräfte im Nationalsozialismus“ wird allen Integrierten Sekundarschulen, Gemein-schaftsschulen und Gymnasien zur Verfügung gestellt. Weitere Infos: info@gew-berlin.de
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