Nur passionierte Numismatiker und versierte Kunstkenner werden hierzulande wissen, dass auf der italienischen 20-Cent-Münze eine Bronzeplastik des Futuristen Umberto Boccioni abgebildet ist. Die Nähe seines Werkes zum italienischen Faschismus ist unbestritten. Boccionis künstlerisches Anliegen war es, die Bewegung eines
Körpers und dessen Dynamik im Raum sichtbar zu machen. Seine 1913 entstandene Arbeit „Forme uniche della continuità nello spazio“ gibt das exempla-risch wieder.
Die Künstlerin Sofia Hultén, die 1972 in Stockholm geboren wurde, war sofort fasziniert, als sie in ihrer Jugend eine Nachbildung dieser Plastik sah. Als Erwachsene war sie wegen der Nähe des Werkes zum Faschismus über ihre frühere Begeisterung erschrocken. Mit der Ausstellung „Unstable Fakers of Change in Self“ hat die in Berlin lebende Künstlerin nun für das Maschinenhaus M0 des Kindl-Zentrums für Zeitgenössische Kunst eine neunteilige Werkgruppe entwickelt, in der sie sich mit Boccionis Bronzeplastik auseinandersetzt.
„Als Ausgangsmaterial verwendet Sofia Hultén herkömmliche Gerüste, die sie in unterschiedlicher Weise aufbaut, mit verschiedenen Materialien bearbeitet und mit Videos kombiniert. Die neun Arbeiten bestehen im wörtlichen Sinne jeweils aus einem Grundgerüst, sowie einem definierten Repertoire unterschiedlichster Gegenstände: Baunetz, Rundschlinge, Blecheimer, Holzplatte, Kabelbinder, italienische 20-Cent-Münzen und Plastilinkugeln“, erläuterte Andreas Fiedler, Kurator der Ausstellung und Künstlerischer Direktor des Kindl-Zentrums, bei einer Pressevorbesichtigung am Freitagvormittag.
Den kryptischen Ausstellungstitel „Unstable Fakers of Change in Self“ leitete Sofia Hultén aus den Anfangsbuchstaben des englischen Titels der Bronzeplastik „Unique Forms of Continuity in Space“ ab. Die Buchstabenfolge U-F-o-C-i-S wird auch als Ausgangsbasis der neun einzelnen Werktitel benutzt, die u. a. „Ultra Friends of Certainty in Stasis“ und „Unilateral Fragmentation of Constants in Store“ lauten. Neben dieser ganz neuen Werkgruppe wird in der Ausstellung auch die Videoarbeit „Past Particles“ aus dem Jahr 2010 gezeigt. Das Video dokumentiert in 72 Minuten den gesamten Inhalt eines alten Werkzeugkastens. Über 1000 Gegen-stände, wie verbogene Nägel, Schrauben, alte Holzreste, undefinierbare Metall- und Plastikteile werden wie archäolo-gische Fundstücke für jeweils 4 Sekunden präsentiert.
Erstmals sind nun alle vier Ausstellungsorte im Kindl-Zentrum gleichzeitig belegt. Neben der gestern eröffneten Ausstellung von Sofia Hultén im Maschinenhaus M0 sind auch die Arbeiten von Kathrin Sonntag und Thomas Scheibitz sowie die Fotoausstellung „Absurde Routinen“ mit zehn Arbeiten überwiegend junger Fotografinnen und Fotografen am Rand des Rollbergviertels zu sehen.
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