„Das Neutralitätsgesetz ist nicht mehr zu halten“

Am Ende werde es fallen, bekräftigte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) seine Rechtsauffassung am Montagabend bei einer Diskussion im Büro der Grünen-Bezirksgruppe Neukölln: „Bildungssenatorin Scheeres scheut jede inhaltliche Debatte. Sie will die Auseinandersetzung aussitzen.“

Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen steht mit der Verfassung nicht im Einklang, das hat der Erste Senat des Bundes-verfassungsgerichts im Januar 2015 entschieden. „Ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das äußere Erscheinungs-bild von Pädagoginnen und Pädagogen ist mit deren Glaubens- und Bekenntnis-freiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar“, lautet die in einem Satz zusammengefasste Urteilsbegründung. Auch das Berliner Neutralitätsgesetz ist nach dieser Entscheidung in die politische und die juristische Diskussion geraten, weil es dem Lehrpersonal an öffentlichen Schulen das sichtbare Tragen religiöser oder weltanschaulicher Symbole verbietet und Kleidungsstücke explizit als mögliches Symbol nennt.

Bildungssenatorin Sandra Scheeres, der Neuköllner Bundestagsabgeordnete Dr. Fritz Felgentreu und viele andere prominente Sozialdemokraten sprechen sich vehement für die Beibehaltung des Neutralitätsgesetzes aus. Die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates, die das Land Berlin im Kopftuchstreit bei Klagen vor dem Arbeitsgericht vertritt, ist von der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes fest überzeugt. In der überparteilichen Initiative „Pro Neutralitätsgesetz“ haben sich Vertreter von SPD, Linken und einzelne Grüne zusammen gefunden. Unabhängig davon spricht sich auch die CDU für die Beibehaltung des Gesetzes aus.

Dirk Behrendt hat sich immer wieder skeptisch geäußert, ob das Berliner Neutralitätsgesetz mit dem Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes sowie mit mehreren Entscheidungen des Berliner Landesarbeitsgerichtes kompatibel ist. Die Rechtsanwältin Maryam Haschemi Yekani (M.), die schon mehrere Mandantinnen vor dem Berliner Landesarbeitsgericht vertreten hat, und die Juristin Zeynep Cetin (r.), Projektleiterin beim Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (INSSAN), gaben bei der Diskussionsveranstaltung einen Überblick über die laufenden Gerichtsverfahren. Allein vom Tragen eines Kopftuches gehe keine Gefahr für den Schulfrieden aus, ein Kopftuchverbot sei deshalb unzulässig. „Wir halten religiöse Symbole in Schulen aus in der multireligiösen Gesellschaft“, sagte Behrendt. „Ich will nicht die Augen davor zumachen, dass wir in Schulen religiöse Probleme haben“, räumte er andererseits aber auch ein.

Eine Übersicht zur unterschiedlichen Situation Kopftuch tragender Lehrerinnen in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages erstellt.

=Christian Kölling=

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