„Pirate Jenny“ erinnert in der Galerie im Saalbau an die Arbeiterkultur der Weimarer Republik

Künstlerische Methoden der Arbeiterkultur aus den 1920er Jahren stellt Ina Wudtke (l.) in den Mittelpunkt ihrer Ausstellung „Pirate Jenny“, die Freitagabend in der Galerie im Saalbau von Galerieleiterin Dorothee Dorothee Bienert und Kuratorin Natalia Raaben eröffnet wurde. Im Gefolge der russischen Oktober-Revolution und nach Gründung der Sowjetunion unterstützten marxistische Zeitungen und Verlage in der ganzen Welt Arbeiterinnen und Arbeiter darin, Texte sowie andere künstlerische Arbeiten über ihre Wohn-, Lebens- und Arbeitsverhältnisse zu veröffentlichen. „Arbeiterschriftssteller“ nannten sich deshalb nach der deutschen November Revolution 1918 die marxistisch geprägten Autoren der Weimarer Republik, ganz unabhängig von ihrer Herkunft aus dem Bürgertum oder der Arbeiterklasse.

Der aus bürgerlichen Verhältnissen stammende Dichter Bertolt Brecht und die Arbeiterin Margarete Steffin lernten sich in einer Theaterklasse der Marxistischen Arbeiterschule Neukölln kennen. Sie schrieben später im dänischen Exil als Schreibkollektiv bedeutende Werke des antifaschistischen Widerstands. Ina Wudtke stellt mit der Installation „November“, die aus zwei schiffssegelartigen Teilen besteht, diese Beziehung ins Zentrum der Ausstellung. Während das rote Segel sich auf Brechts berühmten Liedtext „Seeräuber Jenny“ von 1926 bezieht, zeigt das weiße Segel Steffins den kaum bekannten Text vom „Lied des Schiffsjungen“ aus dem Jahr 1934. Als wesentliches Symbol der deutschen November-Revolution, die durch den Aufstand der Kieler Matrosen ausgelöst wurde, erscheint das Schiff sowohl in der Arbeiterliteratur wie auch in der Ausstellung zum 100. Jahrestag der Revolution.

Auf die Arbeiten afro-amerikanischer Künstlerinnen und Künstler bezieht sich Wudtke in zwei Installationen. In ihrem Video „The Insurrection will not be Tweeted“ performt sie eine zeitgenössische Version des vor knapp 50 Jahren entstandenen Gedichts „The Revolution will not be televised“ von Gil Scott Herons. Eine sehr eigenständige Interpretation der Pianistin Nina Simon, die Brecht und Eislers „Seeräuber Jenny“ in der englischen Übersetzung von Marc Blitzstein singt, wird in Beziehung zu Wudtkes Video „Lied des Schiffsjungen“ gesetzt. Während Simons „Pirate Jenny“ an einem Gerät zwar aus dem Lautsprecher zu hören ist, läuft über den Bildschirm nur der Text ihres Liedes. Auf einem zweiten Bildschirm in der Ecke im hinteren Teil des Raumes werden der Pianist Andrej Hermlin und sein Sohn, der Sänger David Hermlin gezeigt. Sie führen in ihrem Wohnzimmer Hanns Eislers bislang unveröffentlichte Komposition zu Margarete Steffins „Lied des Schiffsjungen“ auf, die über zwei Kopfhörer gehört werden kann.

In den Videoarbeiten Agitkas greift Ina Wudtke die aktionis-tischen Proteste der Arbeiterkünsler aus der Weimarer Republik gegen Wohnungsnot auf und setzt sie performativ in Beziehung zur heutigen Entwicklung in Neukölln sowie in ganz Berlin. Unter anderem ist in der Reihe das Video einer Performance zu sehen, das vor der Alten Post an der Karl-Marx-Straße entstand.

Die Ausstellung „Pirate Jenny“ wird bis zum 25. November in der Galerie im Saalbau (Karl-Marx-Str. 141) gezeigt; Öffnungszeiten: 10 – 20 Uhr.
Erläuterungen zur Ausstellung gibt es am 11. November um 15 Uhr bei einer Führung mit Ina Wudtke.

=Christian Kölling=

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