Die Auseinandersetzung mit antiziganistischen Vorurteilen ist seit drei Jahrzehnten ein wesentliches Thema der fotodokumentari-schen Arbeit von Nihad Nino Pušija (l.), der 1965 in Sarajevo im damaligen Jugoslawien geboren wurde. Wie schon sein Großvater wollte auch er Fotograf werden, studierte Journalismus und Politik an der Universität seiner Heimatstadt und kam 1986 zur bosnischen Tageszeitung Oslobođenje, für die er später auch weiterhin als freier Fotojournalist arbeitete. Über viele Stationen auf der Balkanroute kam er bei seiner Migration, die aufgrund des brutal geführten Bürgerkriegs in Bosnien 1992 erzwungen wurde, letztlich nach Berlin, wo er von seiner eigenen – früher
verschwiegenen – Romaherkunft erfuhr.
„Nihad Nino Pušija tut mit seiner fotografischen Arbeit etwas, was ihm ein wirkliches Anliegen ist: Er lenkt den Blick auf die Lebensrealitäten der in ganz Europa verstreut lebenden 12 Millionen Roma. Dabei setzt er sich mit antiziganistischen Vorurteilen und politischen Herausforderung wie Abschiebung und Integration auseinander“, würdigte Dorothee Bienert, Leiterin der beiden Neuköllner Galerien, am vergangenen Freitagabend zur Eröffnung der Ausstellung „So ist das bei uns – Bilder vernachläs-sigter Europäer“ in der Galerie im Körnerpark seine bisherige fotografische Arbeit. Gezeigt werden vor allem die neue Serien Pušijas, in denen kreative Menschen im Mittelpunkt stehen, die zwischen den Kulturen pendeln. „Ob es sich um die Mitglieder einer Band in Brünn handelt, die im Alltag als Polizisten arbeiten, um mehrfach von der Abschiebung bedrohte Rapper und Aktivisten in Essen, um einen alten Flamenco-Tänzer, der in Sevilla ein leerstehendes Kulturhaus belebt – stets geht es Pušija nicht um ‚die
Geflüchteten‘, ‚die Migranten‘, sondern um Individuen jenseits der üblichen Stereotype“, sagte Bienert: „Seine Fotografien regen zur kritischen Reflexion darüber an, welche Rolle Eigen- und Fremdbilder für das Selbstverständnis der Roma in Europa spielen. Dabei hebt er jedoch nie den moralischen Zeigefinger, sondern bettet diese Themen – oft durchaus humorvoll – in Kontexte des alltäglichen Lebens ein.“ Erläuternd zu den ausgestellten Fotografien werden in einem vierseitigen Papier wichtige Hintergrundinformationen gegeben, etwa zu der 2017
entstandenen Serie #WeRemeber, die die Verfolgung der Roma unter den Nationalsozialisten und die Einrichtung eines Zwangslagers von 1936 bis 1943 in Berlin-Marzahn thematisiert.
Parallel zur Ausstellung erschien bei Peperoni Books die Monografie „Nihad Nino Pušija: Down There Were The Spirit Meets The Bone“, herausgegeben von Lith Bahlmann und Matthias Reichelt. Ein wagemutiger Sprung von der berühmten Brücke in Mostar im Vorkriegs-Jugoslawien der 1980er Jahre eröffnet den Bildband, als eine Referenz an das damals noch friedliche Nebeneinander heute getrennter und verfeindeter Staaten. Doch mit wenigen Ausnahmen ist der Bildband – anders als die Ausstellung – auf die Abgründe menschlichen Daseins gerichtet. Er zeigt die traurige Verzweiflung geflüchteter Menschen, veranschaulicht aber auch ihre Würde, mit der sie widrigen Umständen begegnen, ihnen trotzen und einen Funken Hoffnung entgegensetzen.
Im Rahmenprogramm der Ausstellung, die noch bis zum 9. Januar 2019 in der Galerie im Körnerpark (Schierker Str. 8) zu sehen ist, wird am 14. November um 18:30 Uhr zur Podiumsdiskussion und Performance „Selbstbild, Vorbild, Fremdbild“ eingeladen: Expert*innen beleuchten die visuelle Repräsentation von Roma und Sinti in Medien, Kunst und Kultur in Europa. Wie entstehen Bilder von und über Roma? Wie kann man als Künstler*in Stereotype überwinden? Wie weit reicht die künstlerische Freiheit bei politischen Themen? Mit: Nihad Nino Pušija, Dr. Anna Mirga-Kruszelnicka, (stellvertretende Geschäftsführerin des European Roma Institute for Arts and Culture ERIAC), Delaine Le Bas (Künstlerin und Kuratorin) und Markus End (Vorsitzender der Gesellschaft für Antiziganismusforschung) / Moderation: Christoph Leucht, Theatermacher und Trainer im ROMACT-Programm des Europarats
Filed under: berlin, kultur, kunst, neukölln | Tagged: dorothee bienert, galerie im körnerpark, nihad nino pusija |