„Die Weise von Liebe und Tod“: Zeitgenössische Fortschreibung eines uralten Stoffes in der Neuköllner Oper

Eine der wichtigsten Inszenierungen war in der frühen Geschichte der Neuköllner Oper die Aufführung von Viktor Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis“, die der NO-Gründer Winfried Radeke 1989 und 2000 auf die Bühne brachte. Mit der Produktion „Die Weise von Liebe und Tod“ von Regisseur Fabian Gerhardt, die am Freitagabend auf der Studiobühne uraufgeführt wurde, präsentiert die Off-Oper an der Karl-Marx-Straße nun wieder ein Werk Viktor Ullmanns, der einst als begabter Pianist in den Wiener Schülerkreis von Arnold Schönberg aufgenommen wurde und ab 1923 seine ersten musikalischen Erfolge mit Schönberg-Variationen hatte.

Viktors Eltern, die aus jüdischen Familien stammten, waren schon vor seiner Geburt zum katholischen Glauben konvertiert. Sein Vater war Berufsoffizier in der österreich-ungarischen Armee, wurde im Ersten Weltkrieg zum Oberst befördert und in den Adelsstand erhoben. Erst durch die Rassenpolitik der Nationalsozialisten wurde Viktor Ullmann, ein geborener Katholik, zum Juden gemacht. 1942 deportierten ihn die Nazis ins Ghetto Theresienstadt. Im Oktober 1944 wurde er nach Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort wenige Tage später ermordet.

„Ich habe in Theresienstadt ziemlich viel neue Musik geschrieben, zu betonen ist, dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war“, erklärte Ullmann einmal selbst. Trotz größter Probleme engagierte er sich für ein reiches Musikleben im KZ Theresienstadt, wo er unter extremen Bedingungen einen beträchtlichen Teil seiner Werke schuf – u. a. „Der Kaiser von Atlantis“ und „Die Weise von Liebe und Tod“.

Das Melodram, das er im September 1944 komponierte, basiert auf Auszügen der Erzählung „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ von Rainer Maria Rilke. Der Dichter schrieb 1899 die Geschichte eines jungen Adeligen, der 1664 als Fahnenträger (Cornet) in den Krieg gegen die Türken zieht. Er erfährt das raue Leben der Soldaten, erlebt mit einer geheimnisvollen Gräfin seine erste Liebesnacht und zieht waffenlos, aber mit fliegender Fahne in die Schlacht, in der er unter 16 Säbelhieben schließlich stirbt. Das kurze, düster-romantische Stück erzielte erst im Jahr 1912 seinen großen Durchbruch. Der Cornet wurde Rilkes größter Erfolg, vor allem bei deutschen Soldaten, die mit dem Heftchen im Gepäck in beide Weltkriege zogen.

Für die Aufführung der Neuköllner Oper schufen Regisseur Fabian Gerhardt und Komponist Malte Giesen eine Neufassung und Interpretation des Urspungswerkes. Anders als bei Ullmann umfasst die Produktion erstmals Rilkes vollständigen Text. Für die neuen, 1944 nicht vertonten Passagen, schrieb Giesen, der sich insbesondere mit seinen elektro-akustischen Arbeiten einen Namen gemacht hat, die Musik. Begleitet vom Solopianisten Markus Syperek, der Klavier und Keyboard spielte, vokalisierte und deklamierte die Sopranistin Hrund Ósk Árnadóttir den Text im Wechsel mit dem Schauspieler Dennis Herrmann. Mit einfachen Mitteln und viel Kreativität gestaltete Rebekka Dornhege Reyes die Kostüme und das Bühnenbild. Videos von Cavo Kernich rundete die einstündige Aufführung im Studio der Neuköllner Oper ab.

„Ich kenne kein anderes Werk, das die Abgründe und Absurditäten des deutschen 20. Jahrhunderts so bündelt“, urteilt Fabian Gerhardt über Ullmanns letztes Musikstück im Programmheft. In Zeiten wachsender Verbreitung und drohender Akzeptanz rechtspopulistischer Parolen rüttelt die komponierte Interpretation von Giesen und Gerhardt auf – macht aber auch traurig und nachdenklich.

Weitere Aufführungen von „Die Weise von Liebe und Tod“ vom 21. bis 23. und 27. bis 30. September sowie 11. bis 14. und 19. Oktober um 20 Uhr im Studio der Neuköllner Oper (Karl-Marx-Str. 131/133); Karten ab 17 Euro.

=Christian Kölling=

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