„Mit der Veranstaltungsreihe ‚Neuköllner Zeitreisen‘ besinnen sich die Freunde Neuköllns wieder auf den ursprünglichen Anlass der Vereinsgründung im Jahr 1983, nämlich auf die Unterstützung kulturhistorischer Baudenkmäler im Bezirk“, erklärte Bertil Wewer, Vorsitzender des Traditionsvereins, der seit 1997 seinen Schwerpunkt auf die Pflege der 13 Neuköllner Städtepartnerschaften legt.
Wewer und viele andere Geschichtsinteressierte waren Sonntagnachmittag bei sonnigem Wetter an den Haupteingang des Garnisonsfriedhofs am Columbiadamm gekommen, um zum Auftakt des neuen Veranstaltungsformates an einer Führung des Historikers Werner Schmidt teilzunehmen. „Der Garnisonsfriedhof ist ein Erinnerungsort, der mit seiner langen und bewegten Geschichte wohl einzigartig in Deutschland ist“, begrüßte Schmidt die fast 20-köpfige Teilnehmergruppe an dem historischen Hotspot, der im vergangenen Jahr die Ausstellung „Nekro-pole Berlin Neukölln 1945“ beherbergte.
Der Rundgang begann an einem fast vergessenen Massengrab der Freiheitskriege 1813 bis 1815 und folgte der bewegten Friedhofsgeschichte von den Anfängen des deutschen Nationalstaates über die sogenannten Einigungs-kriege gegen Frankreich, Dänemark und Österreich über die beiden Weltkriege bis in die Gegenwart mit einem großen muslimischen Gräberfeld. „Ich bin nicht jemand, der den Krieg verherrlichen will“, grenzte sich Schmidt von den Besucherinnen und Besuchern des Friedhofs ab, die sich einmal jährlich zum sogenannten Heldengedenken am Volkstrauertag auf dem Garnisonsfriedhof versammeln. Der Dichter Erich Mühsam habe in seinen Tagebuchaufzeichnungen anschaulich beschrieben, wie die Spirale der Gewalt entstehe, sagte Werner Schmidt (r.) und zitierte eine Eintragung aus Mühsams Kriegstagebuch vom 8. November 1914: „Der Grund-satz ‚si vis pacem, para bellum‘ wird durch nichts besser widerlegt, als durch die Präventivkriegstheorie. Um den Frieden zu erhalten, mußt du gut gerüstet sein. Wenn du aber sehr gut gerüstet bist, besser als dein Gegner, dann führe einen Krieg, damit du ihn nicht später führen mußt, wenn dein Gegner besser gerüstet sein wird als du. Kurz: Wenn du den Frieden willst, rüste den Krieg; wenn du den Krieg gerüstet
hast, dann führe ihn. Also: Wenn du den Frieden willst, dann führe den Krieg!“
Besonders martialisch erscheint ein Denkmal des Königin-Augusta-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 4, das auf dem Garnisonsfriedhof im Herbst 1925 eingeweiht wurde. Das Denkmal zeigt einen toten Soldaten, der auf einem Sockel liegt und von einem Fahnentuch bedeckt wird. Unter dem Tuch reckt der Tote seine geballte Faust empor. Auf dem Leichnam sind ein Helm und ein zerbrochenes Schwert platziert, das von einem Lorbeerkranz umgeben ist. Genau zur Zeit der Einweihung des Denkmals verzichteten Deutschland, Frankreich und Belgien bei der Konferenz von Locarno gegenseitig darauf, ihre Grenzen gewaltsam zu verändern. Das Deutsche Reich akzeptierte die im Vertrag von Versailles festgelegte deutsche Westgrenze zu Frankreich und Belgien, verzichtete auf Elsass-Lothringen und bestätigte die Entmilitarisierung des Rheinlands. Doch Hoffnung auf nachhaltigen Frieden in Europa wurden durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten bald erschüttert. Auf der Rückseite des Denkmals stand 1925 in Latein die Inschrift: „Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor.“ (Mag ein Rächer einst entstehen aus meinen Gebeinen.) Ein Zitat aus der Aeneis von Vergil und eine eindeutige Kampfansage gegen die Friedensbemühungen des damaligen deutschen
Außenministers Gustav Stresemann. Erst nach dem Krieg wurde die lateinische Aufschrift ausgemeißelt.
Erläuterungen zu den unterschiedlichsten Grabsteinen, die etwa an Balduin Möllenhausen, einen Begleiter Alexander von Humboldts, ebenso wie an die Opfer eines Luftschiffabsturzes im Oktober 1913 über dem Flugplatz Johannisthal erinnern, fand Schmidt hauptsächlich im Standardwerk „Von den Befreiungskriegen bis zum Ende der Wehrmacht. Der Garnisonsfriedhof“, das der Kunsthistoriker, Publizist und Verleger Dr. Karl-Robert Schütze 1986 herausbrachte.
Auch eine umstrittene Gedenkstätte mit Kolonialbezug ist auf dem Friedhof am Columbiadamm zu finden. Es ist der sogenannte Afrikastein, der an 41 gefallene deutsche Soldaten des Südwestafrika-Feldzuges von Januar 1904 bis März 1907 erinnert. Deutlich sichtbar ist auf dem Stein auch ein Emblem des Deutschen Afrikakorps angebracht, das erst 1941 bis 1943 in Nordafrika an Kämpfen des Zweiten Weltkriegs teilnahm. „Ich weiß nicht, warum das Emblem des Afrikakorps auf diesem Findling ist. Ich werde mich aber einmal bei der Friedhofsverwaltung danach erkundigen, wer es auf dem Stein angebracht hat“, versprach Werner Schmidt, befragt von einem Teilnehmer, am Ende des Rundgangs.
Bis zu den Sommerferien sind bieten die Freunde Neuköllns in der Hufeisensiedlung, der ehemaligen Kindl-Brauerei und im Böhmischen Dorf drei weitere Rundgänge der Veranstaltungsreihe „Neuköllner Zeitreisen“ an. Die Teilnahme ist kostenlos. Spende erbeten.
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