Therapievorschläge für die kränkelnde medizinische Versorgung in Neukölln

Um gegen Ärztemangel und für ein neues Versorgungskonzept einzutreten, gingen im Herbst letzten Jahres die Bezirke Neukölln und Lichtenberg mit einer „konzertierten Aktion“ an die Öffentlichkeit.

Montag traten Neuköllns Gesundheitsstadtrat Falko Liecke und seine Lichtenberger Kollegin Katrin Framke erneut vor die Presse, um mit Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst im Rathaus an der Möllendorfstraße die Studie „Ambulante ärztliche Versorgung in den Berliner Bezirken Lichtenberg und Neukölln“ vorzustellen. Sie wurde in Kooperation mit dem Evangelischen Krankenhaus Elisabeth Herzberge und dem Sana Klinikum Lichtenberg beauftragt und vom unabhängigen Forschungs- und Beratungsinstitut IGES durchgeführt. Begleitet wird die 139-seitige Studie von einem gemeinsamen Forderungskatalog, der 12 konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung in Berlin enthält.

„Mit einem medizinischen Versorgungszentrum in kommu-naler Trägerschaft könnten die Bezirke die medizinische Versorgung besser steuern“, erklärte Liecke. “Wir sind dann erstmalig in der Lage auf den Bedarf im Bezirk zu reagieren. Ich denke da vor allem an Kinderärzte, die in unserem Neukölln an allen Ecken und Ende fehlen“, begründete der CDU-Politiker seine Forderung. Die schlechte Versorgung mit Hausärzten, Kinderärzten, Orthopäden, Augenärzten und anderen Fachärzten, die intuitiv alle spüren, ist für Neukölln und Lichtenberg jetzt anschaulich dokumentiert.

In Neukölln zeichne sich als Schwerpunktregion mit dem größten Handlungsbedarf die Köllnische Heide ab, warnt der Bericht: „Dort liegt bereits gegenwärtig ein erhöhter Versorgungsbedarf vor, es ist zukünftig im Zuge kräftiger Alterung der Bevölkerung von einem weiter zunehmenden Bedarf auszugehen, und die Erreichbarkeit der Arztpraxen ist in Teilen der Region deutlich schlechter als im Durchschnitt für den Bezirk. Hier zeichnen sich potentielle Versor-gungslücken ab“, heißt es auf Seite 76 der Studie.

Gemeinsame gesundheitspolitische Forderungen der Bezirke Lichtenberg und Neukölln an die Kassenärzt-liche Vereinigung (KV) sind die Einführung bezirkli-cher Planungsregionen sowie die Neuberechnung des bezirklichen Versorgungsbedarfes mit Ärzten. Die augenblicklichen Zahlen der KV entsprächen nicht dem tatsächlichen Bedarf. Es werde nicht berücksichtigt, dass in Lichtenberg und Neukölln die Zahl der jungen ebenso wie die der alten Patienten stark ansteige. „Wir werden nicht nur älter, wir werden auch jünger“, skizzierte Bezirksbürgermeister Grunst die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Lichtenberger Bevölkerung.

Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die Neukölln und Lichtenberg nun zur Beseitigung des Ärztemangels fordern, sind Einrichtungen, in denen Ärzte gleicher oder unterschiedlicher Fachrichtungen unter einem Dach zusammenarbeiten. In der ehemaligen DDR hießen diese Zentren Poliklinik. Im bundesdeutschen Gesund-heitssystem, das die Polikliniken nach der Wende abwickelte, besteht die charakteristische Besonderheit des Gesundheitswesens dagegen darin, dass die ambulante ärztliche Versorgung ganz überwiegend durch niedergelassene Mediziner erbracht wird. In den meisten anderen Industrieländern wird ein erheblicher Teil der ambulanten Medizin – insbesondere die spezialfachärztliche Versorgung – durch Ärztinnen und Ärzte geleistet, die an Krankenhäusern angestellt sind.

Ein Strukturwandel der neuen Ärztegeneration, mehr weibliche Absolventen, mehr Kooperationsgeist der Medizinerinnen und Mediziner sowie weniger finanzielle Risikobereitschaft würden medizinische Versorgungszentren als alternative Versorgungsmodelle für Bezirke wie Neukölln und Lichtenberg attraktiv machen, spekulieren Gesundheitsstadtrat Falko Liecke und seine Lichtenberger Kollegin Katrin Framke nun im Grußwort ihrer gemeinsamen Studie und wollen so eine gesundheitspolitische Debatte lostreten.

Die Studie „Ambulante ärztliche Versorgung in den Berliner Bezirken Lichtenberg und Neukölln“ ist hier als Download erhältlich.

=Christian Kölling=

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