„Das Problem wird nicht mit einem Fingerschnippen zu beseitigen sein“

Am vergangenen Freitag bei einsetzender Abend-dämmerung auf dem Vorplatz des U- und S-Bahnhofs Neukölln: „Schön, dass Sie hergekommen sind, Herr Senator“, begrüßte Jens Demmler, alteingesessener Anwohner im Kiez, den Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD). „Die Bezirksbürgermeisterin hat mächtig Druck gemacht und immer wieder bei mir im Büro angerufen“, begründete Geisel (l.) seine Visite zur blauen Stunde am Neuköllner Problembahnhof und fügte hinzu: „Ich möchte meinen Respekt für ihre Arbeit ausdrücken. Das Thema ist dem Senat wichtig. Das Problem wird aber nicht mit einem Finger-schnippen zu beseitigen sein.“ Plastisch brachte Bezirksbürgermeisterin Dr. Franziska Giffey (M.) das Problem auf den Punkt: „Die Leute sitzen hier in den Ecken, konsumieren im Dreck oder offen auf dem Bahnsteig. Das ist für Passanten ein unerträglicher Zustand.“

Demmler, der seit seiner Kindheit im Kiez lebt und in Neukölln das Büro seiner Immobilienfirma hat, klagte: „Es gibt überhaupt keine Scheu mehr, illegale Drogen öffentlich anzubieten, zu kaufen und zu konsumie-ren.“ Der Hausverwalter kennt die Ecken, wo gebrauchte Spritzen, leere Verpackungen und Alu-Folie, in die Heroin-kügelchen eingewickelt werden, herumliegen. Mit geschultem Auge sind diese Drogenutensilien im Bahnhofskiez eigentlich überall zu finden: Auf Spielplätzen, in Hinterhöfen und Treppenhäusern, auf Fensterbrettern, an Baumscheiben und im Gebüsch. Giffey und Demmler kennen auch den Ärger und die Wut der Anwohner, die beobachten müssen, dass Dealer entweder nach Überprüfung der Personalien gleich wieder freigelassen oder nach erfolgter Festnahme überhaupt nicht verurteilt bzw. nicht hart genug bestraft werden. Immer wieder seien dieselben Täter auf der Straße zu sehen, lautet die weitverbreitete Kritik an der Arbeit von Staatsanwaltschaft und Gerichten.

Polizeioberrat Stefan Kranich (r.), Leiter des Polizeiabschnitts 51 in Friedrichshain, der in Vertretung für den Leiter des zuständigen Abschnitts 55 gekommen war, betonte, dass die Präsenz der Polizei am Hotspot Bahnhof Neukölln inzwischen deutlich erhöht worden sei. „Hier sind Frauen und Männer im Einsatz, die ihren Beruf als Berufung verstehen und mit Herzblut bei der Sache sind“, sagte Kranich. Auch wenn zivil gekleidete Polizisten von Bürgern häufig nicht erkannt würden, seien sie in der Drogenszene durchaus bekannt.

Eine Videoüberwachung in der Bahnhofshalle der Deut-schen Bahn, wie es sie im Bahnhofsbereich der BVG bereits gibt, gehörte ebenso wie eine Kameraüberwachung am S-Bahn-Zugang Saalestraße zu den wichtig-sten Forderungen des Abends. Der Nebeneingang in der Saalestraße müsse genauso wie die Bahnunterführung in der Karl-Marx-Straße besser beleuch-tet werden. Außerdem sollen feste Müllbehälter aus Metall für Spritzen installiert werden. „Wir sind mit der Bahn und der BSR im Gespräch, um am Bahnhof etwas zu ändern“, erklärte Giffey.

Vor dem Einkaufszentrum Neuköllner Tor endete der Rundgang, schräg gegenüber vom Bio-Markt, hinter dessen Parkplatz eine Brache liegt: „Erst letztes Wochenende fanden wir hier 80 Obdachlose, die auch Drogen nahmen“, berichtete Jens Demmler. Rund 90 Prozent der Obdachlosen kämen aus Russland und Polen.

„Das Problem wird nicht mit einem Fingerschnippen zu beseitigen sein“, wiederholte Innensenator Andreas Geisel sein Begrüßungsstatement: „Wir brauchen einen langen Atem.“ Ähnlich wie am Kottbusser Tor müsse man intensiv an den Tätern bleiben, andererseits den suchtkranken Menschen aber besser helfen. Dieser Ansatz entspricht der Koaltionsvereinbarung, die zwischen SPD, Linken und Grünen für die laufende Legislaturperiode bis 2021 unter der Überschrift „Drogenpolitik liberaliseren und Suchtprävention stärken“ festlegt: „Die Koalition wird Maßnahmen stärken, welche die Verminderung der Begleitrisiken von Drogenkonsum (harm reduction) zum Ziel haben. Darunter fallen der Aufbau von ‚Drug-Checking‘, die Weiterentwicklung von Drogenkonsumräumen, die Vergabe von sauberen Konsummaterialien und die Entsorgung des gebrauchten Materials.“

An der ersten öffentlichen Begehung am Bahnhof Neukölln mit Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) hatte zeitweilig auch die Landesdrogen-beauftragte Christine Köhler-Azara teilgenommen. Gegen einen festen Drogenkonsumraum im Kiez hätte Jens Demmler unter bestimmten Bedingungen nichts einzuwenden. Ob auch andere Einwohner rund um den Bahnhof Neukölln für einen liberalen drogenpolitischen Ansatz offen sind?

=Christian Kölling=

2 Antworten

  1. Herr Demmler kennt den Drogenumschlagplatz im hause Wipperstr 21, (…), dort gehen die Süchtigen ein und aus.Leider muss mein Sohn, der einzige Deutsche, sich seit Jahren damit herumschlagen, wurde sogar bedroht von Süchtigen, der Hausflur ist verranzt aber Herr Demmler hat direkt vor der Drogenwohnung renovieren lassen, nur da!.Mein Sohn wartet seit langem auf eine neue Wohnungseingangtür, weil die Süchtigen mehrfach versucht haben bei ihm einzubrechen, Nichts ist geschehen seitdem. Durch die hohen Mieten hier im Kiez ist ein Umzug unmöglich geworden.Ein entspanntes wohnen geht kaum noch, immer mit Angst den Hausflur betreten usw. Schade. Auch hier wieder fast nur Profilierung der eigenen Person mit dem Mittel zum Zweck(Politiker)

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  2. Die Brache hinter dem Biomarkt könnte man doch anders nutzen – vielleicht Spielplatz mit Biergarten? Dort ist es sehr schön ruhig im Gegensatz zur kms und Saalestraße, wo ja ein Spielplatz geplant wird gerade…

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