Stoff für Visionen, die mit einem Nähbus real werden sollen

„Das hier ist eine Kirche“: Pfarrer Christoph Hartmann tat gut daran, darauf aufmerksam zu machen. Vor allem angesichts vieler Gäste, die am vergangenen Samstag zum ersten Mal in den Betsaal der Brüdergemeine im Böhmischen Dorf gekommen waren – um eine Modenschau des Projekts OneByOne mitzuerleben.

Lena Schröder hat ihre familiären Wurzeln und ihren Wohnsitz im Dorf, in der Wiege Neuköllns, wo sich vor 280 Jahren Glaubensflüchtlinge aus Böhmen ansiedelten. Die Nachkommen sehen diese Tradition als Verpflichtung, Verständnis für Exilanten heutiger Zeit zu schaffen. Folglich war es auch für Lena Schröder (r.) naheliegend, sich in der Flüchtlingsarbeit zu engagieren. „Im September 2016 haben wir das Projekt gestartet“, erzählt die Zirkuspädagogin, die bei ihrer Arbeit für den Zirkus Cabuwazi bereits im weitesten Sinne mit Mode in Berührung kam: „Da hab ich viele Kindersachen gemacht.“ Durch Kontakte zu in Berlin gelandeten Flüchtlingen erfuhr sie, dass etliche Schneider bzw. Menschen, die in ihrer Heimat viel genäht haben, darunter sind. Bestes Beispiel: der syrische-kurdische Schneidermeister Achmed Fatah (M.), der nun ebenso zum Projektteam gehört wie die Direktrice Swantje Jensen (l.), eine frühere Schulfreundin von Lena Schröder. Das Problem sei eben, dass in den Unterkünften nie Nähmaschinen und -utensilien zur Verfügung stünden.

So entstand die Idee, eine mobile Werkstatt zum Handarbeiten einrichten zu wollen, um verschiedene Flüchtlingsheime anfahren zu können. „Ein Nähbus mit Näh- und Kettelmaschine und ein paar Arbeitsplätzen“, fasst die Initiatorin ihre Vision zusammen. Ein ausgemusterter Pakettransporter oder auch ein großes Wohnmobil wären dafür am besten geeignet, meint sie, und für ein solches Fahrzeug soll nun gesammelt werden. Mit den Geldern, die als Eintritt für die Modenschau gespendet wurden, wurde der Anfang gemacht. „Jetzt wollen wir so schnell wie möglich einen Verein gründen, damit wir eine rechtliche Basis haben, um Fördermittel beantragen oder eine Crowd-funding-Aktion starten zu können.“ Schätzungsweise 20.000 Euro müssten zusammen kommen, damit die Anschubfinanzierung für das perspektivisch bezirksübergreifende Projekt steht, das seit neun Monaten in einer so improvi-sierten wie produktiven Variante in der Flüchtlings-unterkunft in Friedenau durchgeführt wird.

Traditionelle kurdische Trachten entstanden ebenso unter der Regie von Schneidermeister Achmed Fatah wie farbenfrohe, lässig-sommerliche Basics für den Großstadtalltag. „Was wir im Nähbus anbieten, wird sich vor allem nach dem Bedarf richten“, sagt Lena Schröder. Ein fester Baustein soll aber eine Art Nähmaschinen-Führerschein sein, damit Flüchtlinge eine Grundlage für den beruflichen Einstieg in die Hand bekommen. Darüber hinaus ist es dem Team wichtig, Berliner Jungdesigner mit Geflüchteten und ihrem traditionellen Handwerk zusammen zu bringen: „Gemeinsames praktisches Schaffen mit anschließendem Ergebnis hilft und bereichert auf vielerlei Ebenen. Neben fachlichen Austausch dient es auch dem Abbau von Ängsten und Vor-urteilen und Freundschaften können geschlossen werden.“

Dass Teamgeist Unsicherheit vertreiben kann, bewies schon die spritzige Modenschau der ersten OneByOne-Kollektion mit zwei Tänze-rinnen, Amateur-Models aus dem Umfeld der Projektleiterinnen und Menschen aus verschiedenen Flüchtlingsunterkünften. Nur am Anfang präsentierten letztere die Kreationen noch ein wenig schüchtern.

=ensa=

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