„Much More Than One Good Chair“, lautet der programmatische Titel einer Ausstellung im Felleshus der Nordischen Botschaften,
das bis zum 7. Juli zeigen will, dass dänisches Design viel mehr kann, als nur einen guten Stuhl entwerfen. „Anhand ausgewähl-ter Designobjekte von 1945 bis heute wird nicht nur Design-geschichte erzählt, sondern auch ein Porträt Dänemarks gezeich-net: Vom Traum der Wohlfahrtsgesellschaft bis zum heutigen globalisierten Design mit gesellschaftspolitischer Verantwortung“, charak-terisierte Friis Arne Petersen (r.), Botschafter des Königreichs Dänemark, bei der
Vernissage am 10. Mai den Anspruch der Ausstellung.
In die drei Perioden (1945 – 1968, 1969 – 1990 und 1990 bis zur Gegenwart) ist die vom Designer Thomas Dickson kuratierte Präsentation gegliedert. Ein Vergleich des 1949 von Finn Juhl anfertigten „Häuptlings-stuhls“ (l.) mit dem „9,5° chair“ (r.), den Rasmus B. Fex in der Gegenwart entwarf, mag den Wandel des Zeitgeistes in den letzten 70 Jahren verdeutlichen. Für die Pop-Art-Periode der Überflussgesellschaft zwischen 1969
und 1990 stehen stellvertretend so unterschiedliche Designobjekte wie die Pendelleuchte „VP Globe“ (l.) von Verner Panton aus dem Jahr 1970 und das Christiania-Bike von Lars Engstrøm, ein 1984 entwickeltes Lastenrad aus
Aluminium, Stahl und Sperrholz.
Skandinavisches Design ist eng mit der Idee verbunden, qualitativ hochwertige Möbel zu einem fairen Preis anzubieten, ohne die Behaglichkeit der Tradition zu vergessen. Viele dänische Designer haben seit eh und je große Beziehungen zum Kunstgewerbe und orientieren sich bei ihren Arbeiten an der Natur. Børge Mogensen, Leiter der Möbeldesign-abteilung des dänischen Genossenschaftsbetriebs FDB, setzte sich seit den 1940er Jahren für moderne hochwertige Möbel zu erschwinglichen Preisen ein. Technik betrachtete er weder als Gefahr für die Tradition, noch als einen Weg weg von der Tradition an, sondern als ein einfaches Werkzeug. Er setzte sich mit dieser Sichtweise sowohl von der Arts-and-Crafts-Bewegung als auch von der Bauhaus-Bewegung ab. Trotz seiner Rolle in der Geschichte des dänischen Möbeldesigns erlangte Mogensen nie die
Berühmtheit oder die Anerkennung wie beispiels-weise Poul Henningsen, Arne Jacobsen oder Verner Panton.
In Neukölln, wo Ende letzten Jahres 355 dänische Staatsbürger gemeldet waren, sorgen The bread station am Maybachufer, ein Ableger der gleichnami-gen Bäckerei in Kopenhagen, sowie die Kønigliche Back-stube in der Zwiestädter Straße für skandinavisches Flair. In beiden Bäckereien kann die Produktion vom Verkaufsraum sowie durch die Fenster von außen beobachtet werden. In der Køniglichen Backstube ist für das Projekt eins-zueins eine Wand als Ausstellungsfläche reserviert. „Wir wollen die Kunst in den Alltag bringen“, kommentiert Inhaber Michael Köser das Ziel der von Kati Gausmann
initiierten Kunstreihe, die morgen wieder zur Vernissage einlädt.
In der Sanderstraße im Reuterkiez gibt es außerdem seit fünf Jahren die Vintage Galore, die auf Retro-Möbel in skandina-vischem Design spezialisiert ist. „Ich bin schon als Kind mit meinen Eltern nach Dänemark gefahren“, berichtet Inhaber Erik Zimmermann: „Das skandinavische Design hat mich geprägt.“ Ursprünglich ist Zimmer-mann Zahntechniker gewesen – jetzt arbeitet er alte skandinavische Möbel auf, um sie wieder zu verkaufen.
Am 20. Mai wird von 17 bis 19 Uhr in der Køniglichen Backstube (Zwie-städter Str. 10) mit der Wandarbeit „eine handvoll Wirks“ von Birgit Cauer das Projekt einszueins fortgesetzt; die Ausstellung endet am 26. August.
Im Rahmenprogramm der Ausstellung „Much more than one good chair“ lädt das Felleshus der Nordischen Botschaften (Rauchstr. 1, Berlin-Tier-garten) am 1. Juni um 19.30 Uhr in Zusammenarbeit mit dem Bauhaus-Archiv zum Designtalk: Bauhaus und Dänemark ein. U. a. mit Prof. Carsten Thau wird über die Wege des Funktionalismus und die Bedeutung der historischen Moderne heute diskutiert.
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