In der niedersächsischen Stadt Bleckede, wo Kurt Löwenstein geboren wurde, erinnern eine Schule und
eine Straße an ihn. In Neukölln, wo er von 1921 bis 1933 als Stadtrat für das Volksbildungswesen wirkte und in der Geygerstraße 3 lebte, gibt es außer einer Gedenktafel am ehemaligen Wohnhaus den Löwensteinring sowie eine Depen-dance der Volkshochschule, die seinen Namen trägt.
Kurzum: Sichtbare Würdigungen des sozialdemokrati-schen Politikers, der zu den bedeutendsten Reformpädagogen der Weimarer Zeit zählt und mit Fritz Karsen in Neukölln die erste Gesamtschule Deutschlands schuf, beschränkten sich bisher auf lokale Ebenen. Zumal auch die Kurzbiografien-Sammlung „Vor die Tür gesetzt“, in der Löwenstein unter 418 weiteren Berliner Stadtverordneten und Magistratsmitgliedern steht, die von den Nazis verfolgt wurden, insbesondere in der Hauptstadt von Bedeutung ist. Weitere Kreise soll nun das Buch „Kurt Löwenstein – demokratische Erziehung und Gegenwelterfahrung“ ziehen, das am vergangenen Donnerstag im Beisein von Autor Kay Schweigmann-Greve sowie Neuköllns
Bürgermeisterin und Bildungsstadt-rat Jan-Christopher Rämer im Kurt-Löwenstein-Haus vorgestellt wurde. „Nach dem Werk ‚Zehn Brüder waren wir gewesen‘ ist das Löwenstein-Buch die zweite Kooperation mit dem Neuköllner Bezirksamt“, merkte Dr. Nora Pester (r.), die Inhaberin des Hentrich & Hentrich Verlags, lobend an. Dass es ausgerechnet in der Reihe Jüdische Miniaturen erschien, macht bereits auf Seite 16 stutzig. Denn von der Religiosität, die durch das Elternhaus und eine jüdisch-weltliche Schule geprägt wurde, wandte sich Kurt Löwenstein schon während der Ausbildung am Rabbiner-Seminar
ab. „Nach dieser grundsätzlichen Wende in seinem Leben kam er selbst nie wieder auf sein Verhältnis zum Judentum oder auf Jüdisches überhaupt zurück“, resümiert Kay Schweigmann-Greve (l.) in der 80-seitigen Biografie. Stattdessen schloss sich Löwenstein einer sozialreformerischen Vereinigung linksliberaler Freidenker
an, um zu einer Neuordnung der Gesellschaft beizutragen.
Mit der Berufung zum Neuköll-ner Bildungsstadtrat im Jahre 1921 machte er einen wichtigen Schritt bei der Verwirklichung seiner Ideale, die die Rechte der Kinder im Fokus hatten: Ein Einheitsschulkonzept ohne Religionsunterricht und eine ihren Fähigkeiten entsprechende Teilhabe von Arbei-terkindern an Bildung und Qualifikation strebte er an. Ferner engagierte er sich für die Schaffung einer freizeitpädagogischen Bewegung und legte den Grundstein für die Reicharbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde. „Diese sollte“, schreibt Schweigmann-Greve, „wenn sie die Arbeiterkinder schon nicht generell der staatlichen bürgerlichen Drillschule entziehen
konnte, ihnen zumindest am Nachmittag die Erfahrung von Selbstachtung und proletarischem Selbstbewusst-sein, demokratische Umgangsformen und eine
Erziehung zu internationaler Solidarität bieten.“
Wenige Wochen nachdem die Nazis die Macht in Deutsch-land übernommen hatten, wurde jedoch Kurt Löwen-steins Wirken in Neukölln ein jähes Ende gesetzt. In der Nacht des 27. Februar 1933 überlebten der Politiker, seine Frau Mara Kerwel und Sohn Dyno in der Wohnung in der Geygerstraße nur knapp einen Anschlag zweier SA-Leute. Die Familie konnte allerdings fliehen, wohnte zunächst einige Monate in Prag und zog anschließend nach Frankreich weiter, wo Löwenstein „das Zentrum des Widerstands gegen Nazideutschland“ sah. Im Exil baute er eine sozialdemokratische Internationale von Kinder- und Erziehungsorganisationen auf,
bevor er am 8. Mai 1939, zwei Jahre nach der Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft, an einem Herzinfarkt starb.
„Man kann vielleicht mit vielem, was ich gewollt habe, nicht einverstanden sein, aber niemand kann sagen, daß mein Wille nicht gut gewesen sei“, zitierte Jan-Christopher Rämer seinen Amtsvorgänger. Heute würden mit den Gemeinschaftsschulen Campus Rütli und Campus Efeuweg wieder ganzheitliche Bildungskonzepte ganz im Sinne Löwensteins entwickelt, die weit über die Bezirksgrenzen hinaus Interesse weckten. Kurt Löwenstein habe für sozialdemokratische Ideale gestanden, ergänzte Dr. Franziska Giffey: „Wir haben die Verantwortung, dass sein politisches Erbe weitergeführt wird.“
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