Entwurzelte Menschen, überwiegend alkoholisierte Männer, für die im Rathaus Neukölln spöttische Begriffe wie „Brigade-Sorgenlos“ und „Internationale Trinker-Gruppe“ geprägt wurden, bevölkern nicht nur
am Reuterplatz auf Parkbänken den öffentlichen Raum. Ihre Anwesenheit ist überall ein Grund, weshalb verrottete Bänke an öffentlichen Plätzen oft nicht erneuert und gelegentlich sogar gezielt entfernt werden. Ein interkulturelles Seniorenprojekt im Reuterkiez trug unter Leitung der Politologin Ursula Bach dagegen zusammen, welche Bedürfnisse und Erwartungen ältere Menschen im Reuterkiez an ihr Wohnumfeld haben. Als ein Ergebnis entstand die Wanderausstellung „Der Reuterkiez aus der Sicht älterer Menschen“, die im November 2015 vom Neuköllner Sozialstadtrat Bernd Szczepan-ski eröffnet wurde. Vorgestern luden er und die Grünen-Abgeordnete Anja Kofbinger
(l.) nun gemeinsam die Presse zu einer Begehung von Kofbingers Wahlkreis ein.
„Als besonders belastend werden der zunehmende Müll und der nächtliche Lärm durch die vielen Gastronomie-betriebe empfunden. Es geht aber auch um mangelnde Sicherheit bei der Querung von Straßen und auf den Gehwege. Vor allem erschweren wenige Sitzgelegen-heiten das Leben im Kiez“, stellte Kofbinger die Wünsche und Forderungen der Senioren vor. „Die Aufstellung von Bänken wird wegen der Trinker-Szene nicht von allen befürwortet“, räumte Sozialstadtrat Szczepanski ein. An die unmittelbare Nachbarschaft der Szene erinnerte beim Ortstermin eine Taschenflaschen Magenbitter, die auf dem taktilen Plan für Blinde lag, der zwischen hochgewachsenen Büschen am westlichen Eingang der Grünanlage steht und eine ertastbare Vorstellung von den Wegen im Park vermitteln soll. „Obwohl einige Bänke wegen der Trinker absichtlich nicht erneuert wurden, will die AG Wohnumfeld der interkulturellen Seniorengruppe im Reuterkiez trotzdem alle Bänke im Park wieder aufstellen lassen“, sagte Szczepanski. Anschließend nahmen er und die Grüne Parlamentarierin auf zwei mitgebrachten Papphockern in der Lücke, wo früher eine Parkbank stand, demonstrativ für ein Foto Platz. Im Rahmen der Bürgerbeteiligung an der bezirklichen Investitionsplanung 2017 bis 2021 habe die Senioren-Gruppe inzwischen 50.000 Euro für mehr Sitzgelegenheiten im Kiez beantragt, berichtete der Sozialstadrat: „Wir unterstützen explizit diesen Vorschlag. Auch Mütter und Väter
mit kleinen Kindern ruhen sich gerne mal aus!“
Sogenannte Stadtmöbel, das sind Bänke oder einfache Einzelsitzmöbel, sollen außerdem am Maybachufer sowie an markanten Ecken im Wohngebiet, wie zum Beispiel an der Kreuzung Nansen-/Manitiusstraße sowie nahe dem Seniorenwohnhaus in der Reuter-/Pflügerstraße aufgestellt werden. „Die Seniorinnen und Senioren fordern allein am Maybachufer 15 Bänke, damit die Uferpromenade wieder als Fußweg erkennbar wird“, sagte Anja Kofbinger. Jede Bank koste circa 1.500 Euro, hinzu kämen die Kosten der Aufstellung.
Bezirksstadtrat Bernd Szczepanski warb für Bürgerbeteiligung am Bezirkshaushalt: „Die Bürger müssen mehr an den Haushaltsberatungen beteiligt werden. Ich wünsche mir, dass da noch mehr passiert.“ Die Beteiligungsmöglichkeiten an der Investitionsplanung umfassten die unterschiedlichsten Bereiche. Es gehe sowohl um Neu- und Erweiterungsbauten für Schulen oder Kínder- und Jugendfreizeiteinrich-tungen als auch um Maßnahmen im Grünbereich wie den Bau oder die Erweiterung von Spielplätzen und Grünanlagen. Straßenbaumaßnahmen sowie größere Beschaffungen beispielsweise für Schul-inventar oder IT-Ausstattung zählten ebenfalls dazu. Ob im Bezirk aber tatsächlich ein politisches Interesse besteht, sich bei den Haushaltsberatungen mehr auf die Finger schauen zu lassen? Bereits mehrfach thematisierte das FACETTEN-Magazin, wie z. B. im November 2013, Intransparenz, fehlenden Willen zur Bürgerbeteiligung und nicht-öffentliche Sitzungen des Hauptausschusses.
Es kann also nur besser werden!
„Auch im Abgeordnetenhaus gibt es Ausschüsse, wie zum Beispiel den Petitionsausschuss, die regelmäßig nicht-öffentlich tagen“, berichtete Kofbinger aus dem Berliner Landesparlament. Die Sitzungen des Hauptausschusses seien dagegen generell öffentlich, auch wenn zu einzelnen Tagesordnungspunkten die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden könne, wie das in jedem Ausschuss grundsätzlich möglich sei. „Ich finde das schon ein Problem“, kommentierte Kofbinger die bisherige Abschottungspraxis des Neuköllner Haushalts-Ausschusses.
=Christian Kölling=
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