Zwischen Wirklichkeit und Wunschdenken: „Kann nicht auch mal die klassische Wirtschaft bei den Kreativen anklopfen, so dass die mal pitchen muss?“

Das Kreativnetz Neukölln hatte geladen – und zahlreiche Kreative waren gekommen, als am vergangenen Freitag auf dem Vollgut-Gelände der 3. Neuköllner Kreativ-Kongress rheinfeld_brosius_scheper_batz_raab_sieben_3.kreativkongress neukoellnmit dem Motto „Under Construction“ über die Bühne ging. Er verstehe sich als Plattform zum Austausch von Erwartungen und Sichtweisen der Akteure aus Verwaltung, Politik, mittelständischer Wirtschaft und Kultur- und Kreativwirtschaft. „So wird eine Begegnung auf Augenhöhe möglich“, avisierten die Organisatoren in ihrer Einladung.

Die Realität unterschied sich davon jedoch deutlich. Einem Klassentreffen ähnele das hier, charakterisierte mancher die Veranstaltung. „Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Wirtschaftsunternehmen am nächsten Kongress beteiligen“, brachte Alice Grindhammer vom Agora-Collective am Ende der zweiten Diskussionsrunde auf den Punkt, was viele dachten. Zudem drückte sie brosius_3.kreativkongress neukoellndamit das bereits im Panel zum Thema „Business as unusual – Partnerschaften zwischen Kreativen und Wirtschaft“ häufig kritisierte Ungleichgewicht aus.

Der klassischen Wirtschaft, hatte Christoph Brosius (l.) in seinem Eröffnungsstatement skizziert, gehe häufig die Selbstreflexion ab, den Kreativen hingegen die Klarheit hinsichtlich des eigenen Profils. „Deshalb wirkt das Partnering oft sehr einseitig und erfüllt nicht die Grund-voraussetzung einer Kooperation auf Augenhöhe“, wurde vom Geschäftsführer der Circumradius GmbH als Steil-vorlage in die Runde gegeben. „Wir sollten uns darauf einigen, dass wir alle Unternehmer sind“, schlug er vor. Ebenso wichtig sei es aber, beim Matching Egoismen auf den Tisch zu packen und nicht mit einer Von-null-auf-hundert-Erwartungshaltung in die Partnerschaft zu starten, sondern sich zu ver-gegenwärtigen, 3.kreativkongress neukoelln_agora-rollbergdass Vertrauen wachsen müsse. „Mir wird es in der Außendarstellung zunehmend egal, ob ich Kreativer oder Wirtschaft bin“, fasste der Spiele-entwickler Brosius seinen Status quo zusammen. Doch an diesem Selbstverständnis müssten viele Akteure der Kreativökonomie noch arbeiten. Folglich scheper_batz_3.kreativkongress neukoellngelinge es ihnen nicht, Unternehmen der klassischen Wirtschaft für die Mehrwerte zu sensibilisieren, die durch eine Partnerschaft entstünden: „Noch hilft es Kreativen daher auch nicht, dass sie die viel besseren Seismografen für Entwicklungen sind.“

Häufig herrsche bei Kreativen sogar Angst vor großen Unternehmen, wusste André Batz (r.) zu berichten, der beim Kreativnetz Neukölln für den Schwerpunkt der Geschäftsent-wicklung und Vernetzung zuständig ist: „Dabei kann die Wirtschaft bei Kooperationen nicht nur von den Produkten, sondern auch von der Arbeitsweise Kreativer profitieren.“ Das Ernstnehmen, bestätigte Jürgen Schepers (l.), sei tatsächlich ein Problem. Weshalb die Chancen interdisziplinärer Partnerschaften nicht offensiver gesucht und effektiver ausgeschöpft werden, macht der Branchenkoordinator Kreativwirtschaft bei der IHK Berlin rheinfeld_scheper_batz_3.kreativkongress neukoellnvor allem an einem Punkt fest: „Ich vermisse bei der klassischen Wirtschaft oft voraus-schauendes Denken.“

In Neukölln sei schon relativ früh nach der Gründung des Unternehmensnetzwerks Neukölln-Südring eine Verbindung zur Kreativwirtschaft entstanden, hielt Ulrich Rheinfeld (r.) dem entgegen. „Wir haben zwei Modeschauen unterstützt“, umriss der stellvertretende Vorsitzende des Verbunds, dem aktuell 53 Neuköllner Unternehmen angehören, die Kooperation zugunsten des von EU und Bund geförderten Modenetzwerks NEMONA. Umgekehrt dürfte aber auch die raab_sieben_3.kreativkongress neukoellnNähe zur Kreativszene, die Rheinfeld als „großen Standortfaktor und Label für Neukölln“ identifiziert, nicht nachteilig fürs Image der Unternehmen sein.

Er plädiere für die Einrichtung einer „Denkwerkstatt zwischen Kreativen und Wirtschaft in Neukölln“, gab Lennart Sieben (r., neben Moderatorin Stefanie Raab) als Impuls in die Runde. Für einen weiteren Vorschlag erhielt der Berater und Konzepter bei der Belius GmbH/Stiftung noch mehr Zustimmung in Form von Szenenapplaus: 3.kreativkongress neukoelln_kiezwagen blank„Kann nicht auch mal die klassische Wirtschaft bei den Kreativen anklopfen, so dass die mal pitchen muss?“

Eine schöne Vision. Die Realität der Akteure der Neu-köllner Kreativszene sieht jedoch so aus, dass – wer sich traut – die Klinken der Firmen putzt. „Unsere Fragestellung sollte sein, welche Unternehmen unsere Ressourcen gebrauchen können“, forderte Alice Grindhammer zu einer verstärkten Offensive auf. Nach einer Pause in der Open Air-Lounge am Kiezwagen Blank ging es beim dritten Panel um die Vernetzung, u. a. auf der Agenda: Die wahrscheinlich für viele Kreative wichtigste Frage „Was kann in Neukölln für die Kultur- und Kreativwirtschaft verbessert werden?“

=ensa=

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