Bernd Szczepanski hat durchaus öfter mit Hundert-jährigen zu tun. So sie oder ihre Angehörigen es wünschen, kommt der Sozialstadtrat von Neukölln mit Blumen und einem kleinen Präsent zum Gratulieren, wenn das Lebensalter vom zwei- in den dreistelligen Bereich rutscht. Doch so etwas wie letzten Freitag war auch für Szczepanski ein Novum: An einer Kaffeetafel konnte er zur Eröffnung einer Ausstellung zum 100-jährigen Bestehen des Körnerparks gleich sechs Neu-köllnerinnen begrüßen, die seit Januar 100 geworden sind oder es in den nächsten Monaten werden.
Als sie 1916 zur Welt kamen, waren Filtertüten, Panzer, der Teddybär, Eis am Stiel, elektrische Verkehrsampeln und Waschmaschinen bereits erfunden. Andere zivilisatorische Errungenschaften, die heute auch den Alltag der Protagonistinnen der Ausstellung „Geboren 1916 – Gesichter eines Jahrhun-derts“ erleichtern, ließen noch auf sich warten. „Sie haben ein ganzes Jahrhundert erlebt, in dem sich die Lebensverhältnisse schneller als in den 500 Jahren vorher verändert haben“, erinnerte Bernd Szczepanski (l.) die Seniorinnen, die meist in Begleitung ihrer Kinder, die inzwischen selber längst im Rentenalter sind, eingefunden hatten. 1922, als Hans Riegel in Bonn die Gummibärchen erfand,
waren sie Schulkinder, bei der Markteinführung von Tempo-Taschentüchern und Teebeuteln Teenager – und schon erwachsen, als Farbfernseher, Kugelschrei-ber und Kaffeemaschinen in deutschen Haushalten Einzug hielten.
Für die Entstehung der Ausstellung, die als Gemein-schaftsprojekt vom Kultur- und Sozialressort entwickelt wurde, haben die 100-Jährigen die Künstlerinnen Josephine Raab (r.) und Iona Dutz (M.) zu Einblicken in ihr Leben eingeladen. Die dabei entstandenen Fotos sind seit Freitag im
Kreativraum der Galerie im Körnerpark zu sehen, die Interviews mit den Zeitzeuginnen in einer lesenswerten Broschüre erschie-nen, die für 5 Euro erhältlich ist.
„Dass in der Ausstellung nur Frauen portraitiert werden, macht mich schon nachdenklich“, merkte Bernd Szcze-panski schmunzelnd an, wohlwissend, dass Männer unter den Hochbetagten rar sind. Während 31 Neu-köllnerinnen in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag
feiern, ist es nur einem Neuköllner das Erlebnis vergönnt. „Fast alle genießen es, dieses Alter erreicht zu haben“, so die Erfahrung des Stadtrats, der nach der laufenden Legislaturperiode in den Ruhestand tritt. Doch es sind nicht nur die autobiogra-fischen
Geschichten, die er sich gerne anhört: „Das Leben spiegelt sich in den Gesichtern wieder, und es ist für Jüngere enorm wichtig, dass sie fotografiert und gezeigt werden.“
Der sei aber schwer, kommentierte Luise, die ob ihres Geburtstags im November das Küken der Protagonistinnen ist, das Gewicht des Blumenstraußes, der ihr vom Senio-renservice Neukölln überreicht wurde. Charlotte (o.), die viele Jahre bei Karstadt am Hermannplatz arbeitete, hat das Ereignis am 29. April gefeiert, Eva (r.) einen Tag früher. Sie laufe noch täglich mindes-tens eine halbe Stunde, berichtete die Schneidermeis-terin, die am Reuterplatz geboren wurde.
Auch Erna, eine weitere der acht portraitierten 100-Jährigen hatte sich bereits für die Teilnahme an der Vernissage angemeldet. Doch dann kam alles anders: „Sie ist im Juni verstorben“, musste Bernd Szczepanski bekanntgeben. „Aber ihre beiden Söhne sind hier, um mit uns die Ausstellung zu eröffnen, die jetzt auch als ehrendes Andenken für die Mutter zu sehen ist.“ Neben den Fotos, die von ihrem Leben erzählen, brennt außerdem eine Kerze für sie.
Die Ausstellung „Geboren 1916 – Gesichter eines Jahrhunderts“ wird noch bis zum 25. Juli im Kreativraum im Körnerpark (Schierker Str. 8) gezeigt; Öffnungszeiten: Di. – So. 10 – 20 Uhr.
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