Erst Information und Diskussion, dann die Umbenennung

strassenschild wissmannstr neukoellnDie Kolonialgeschichte Deutschlands scheint heute für viele längst vergessen und vergangen zu sein. Es gehört zum gesellschaftlichen Konsens, dass es nichts am Kolonialismus gibt, worauf irgendjemand uneingeschränkt stolz sein könn-te. Erst kürzlich bedauerte Bundestagspräsident Norbert Lammert politische Versäumnisse im Umgang mit den deutschen Kolonialverbrechen im früheren Deutsch-Südwestafrika. Lammert und das Auswärtige Amt nannten im Sommer 2015 die während des Herero-Aufstandes verübten Massaker, die zwischen 1904 und 1909 im heutigen Namibia geschahen, erstmals Völkermord. Ein Terminus, der bis dahin vermieden wurde.

Skurril und peinlich wirkt daher die Tatsache, dass in Neukölln noch im Jahr 1975, als Heinz Stücklen Bezirksbürgermeister war, ein unkritischer Umgang mit der deutschen Kolonialgeschichte herrschte. Unhinterfragt wurde damals nach dem Reeder Adolph Woermann, der u. a. 1884 die Afrika-Dampfgesellschaft gründete und vom Kolonialismus wirtschaftlich enorm profitierte, im Industriegebiet südlich der Grenzallee die Woermannkehre benannt. Die Wissmannstraße an der Neuköllner Hasenheide dagegen, die an den preußischen Offizier Hermann von Wissmann erinnert, der 1895/96 Gouverneur von Deutsch-Ostafrika war, trug ihren Namen schon vor dem 1. Weltkrieg. Die Benennung erfolgte also zu einer Zeit als die kahlefeld_vonnekold_mboro_kopp_kolonialismus-diskussion neukoellnkritische Auseinandersetzung mit dem Kolonia-lismus in Deutschland längst noch nicht mehrheitsfähig war.

„Wissmann & Co – Vom Versäumnis Neuköllns sich kritisch mit kolonialen Straßennamen auseinanderzusetzen“, lautete der Titel eines Kiezgespräches, zu dem die Grüne-Abgeordnete Dr. Susanna Kahlefeld (l.) am vergangenen frauentag umbenennung wissmann charlotte wolff_neukoellnMittwoch ins Café Blume eingeladen hatte. Bereits im März hatten Kahlefeld ihre Grünen-Fraktionskollegin Anja Kofbinger die Wissmann-straße symbolisch umbenannt.

„Wissmann ist ein schrecklicher und brutaler Mensch gewesen. Wir verstehen nicht, warum so ein Kolonial-verbrecher geehrt werden kann“, sagte im Namen vieler in Berlin lebender Afrikaner Mnyaka Sururu Mboro (2. v. r.) aus Tansania, der zusammen mit Christian Kopp (r.) für den Berlin Postkolonial e.V. zum Gespräch gekommen war. Kopp, der ein Dossier über kolonialistische Straßennamen verfasst hat, pflichtete Mboro bei: „Es gibt in Berlin rund 50 Straßennamen mit kolonialem Bezug. Namen der Kategorie 1, wie z. B. die Kameruner Straße, sind geeignet, um kritisch kommentiert zu werden. Bei Straßen der Kategorie 2, zu denen eindeutig die Woermannkehre und die Wissmannstraße in Neukölln gehören, fordern wir die Umbenennung, am besten nach einer afrika-nischen vonnekold_mboro_kolonialismus-diskussion neukoellnPersönlichkeit, die sich aktiv gegen den Kolonialismus eingesetzt hat.“

Auch die Fraktionsvorsitzende der Neuköllner Grünen, Gabriele Vonnekold (l.), die ebenfalls zum Podiumsgespräch gekommen war, forderte Stra-ßenumbenennungen in beiden Fällen. „Stattdes-sen möchten wir zum Beispiel Frauen der kolonialen Befreiungs- und Emanzipationsbewegungen aus den Ländern Afrikas ehren. Es ist an der Zeit, die ungerechtfertigten Ehrungen in Neukölln endlich zu beenden“, sagte Vonnekold. Einen entsprechenden Antrag hat die Grüne-Fraktion bereits in die BVV bereits eingebracht. Die Straßen sollen aber nicht einfach per BVV-Beschluss umbenannt werden. Damit die Kolonialgeschichte aufgearbeitet werden kann, fordern die Grünen vielmehr einen Prozess, der die Umbenennung mit afrikastein_garnisonsfriedhof neukoellnInformations- und Diskussionsrunden vorbereitet.

Anlass zur Kritik bietet nicht zuletzt auch der sogenannte Afrikastein auf dem Garnisons-friedhof am Columbiadamm: „Die BVV Neukölln hatte 2004 bereits den Beschluss gefasst, eine Gedenktafel für die Opfer des Völkermordes an den Herero und Nama zwischen 1904 und 1909 auf dem Boden vor dem Afrikastein einzulassen. Die Gedenkplatte wurde aber erst 2009 eingeweiht“, erinnerte sich Kahlefeld, bevor sie ihre politische Forderung formulierte: „Wir brauchen aber eine andere, würdige Gedenkstätte für die Opfer des Völkermordes. Die Platte auf dem Boden steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum großen wuchtigen Stein.“

Gute Erfahrungen mit der Dekolonialisierung von Straßennamen haben bereits die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg mit der Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer und Mitte mit dem Lern- und Erinnerungsort Afrikanisches Viertel  gemacht. In Hamburg wurde Wissmann bereits vor einem halben Jahrhundert buchstäblich vom Sockel gestürzt. Ein Wissmann-Denkmal, das 1909 in Daressalam in der damaligen Kolonie Deutsch-Ostafrika aufgestellt wurde, gelangte nach dem 1. Weltkrieg infolge des Verlustes der Kolonie nach Hamburg, wo es vor dem Hauptgebäude der Universität platziert wurde. In den 1960er Jahren wurde das Wissmann-Denkmal mehrfach von Studenten gestürzt. Seit 1968 ist es im Keller der Sternwarte Bergedorf eingelagert.

=Christian Kölling=

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