Neukölln gehört zwar mit Kreuzberg-Friedrichshain und Mitte zu den flächenmäßig kleinsten Berliner Bezirken, richtet aber mit 48 STUNDEN NEUKÖLLN das größte freie Kunstfestival der Hauptstadt aus.
Von morgen bis Sonntag mischen sich in den Straßen wieder blau-weiße Fahnen mit dem Logo der Veran-stalter zwischen die Flaggen, die anlässlich der Fußball-Europameisterschaft im Wind flattern. Und es werden wieder mehr als 70.000 Leute im Bezirk unterwegs sein, um wenigstens einen Bruchteil dessen zu erleben, was über 1.200 Künstlerinnen und Künstler für sie vorbe-reitet haben. Wer Kultur satt will, hat in den nördlichen Kiezen rund 400 Events an etwa 250 Orten zur Auswahl – wer Kultur satt hat, sollte sich am Wochenende besser südlich der Silbersteinstraße aufhalten. SATT ist auch das diesjährige Motto des Festivals, das vor 18 Jahren Premiere hatte und seinerzeit als Kontrastprogramm zum Höhepunkt des Neukölln-Bashings erfunden wurde. Ein Thema, das wie ein inhaltliches Dach über den einzelnen Ausstellungen, Film-, Theater-, Tanz- und Performance-Projekten, Führungen, Lesungen, Inter-ventionen und Aktionen steht, gab es damals noch nicht. Aber SATT hätte gut gepasst, weil viele Neuköllner das mediale Herumknüppeln auf ihrem Bezirk satt hatten, das den Blick auf Positives verstellte
und dazu führte, dass sich nur die Mutigen unter den Auswärtigen über die Bezirksgrenze trauten.
„Das Motto SATT wurde unter 70 Einreichungen von einer Jury ausgewählt“, berichtete Auguste Kuschnerow (3. v. r.) bei der Pressekonferenz im Vollgutlager, das für drei Tage zur SATT-Zentrale wird. Entscheidend sei gewesen, dass das Wort positiv und negativ besetzt ist, so die Vorsitzende des Kulturnetzwerk Neukölln e. V., der das Festival organisiert, weiter: „Kunst macht Vorschläge jenseits der bekannten Befriedigungsstrategien.“ Allein 60 internationale Kunst-schaffende –
darunter Bar-bara Duisberg, die Gruppe Transstruktura und die Neu-köllner Salaam-Schalom-Initiative – zeigen ihre Posi-tionen zum Festivalthema in der Halle an der Rollberg-straße. In fast 100 Neuköllner Ateliers, Galerien und Projekträumen ist hingegen Kunst zu entdecken, die keinen Bezug zum Motto sucht: Im Programm lassen
sich diese „assoziierten Orte“ am Buchstaben statt einer Kennziffer hinter dem Kiezkürzel erkennen.
„Ich fand das Festivalthema zuerst richtig doof“, gestand Kulturstadtrat Jan-Christopher Rämer. „Aber die Begründung hat mich letztlich wegen der politi-schen Komponente überzeugt.“ Verhindert unsere Übersättigung wichtige gesellschaftliche Entwick-lungsschritte? Kann Kunst wieder hungrig machen auf etwas Neues? Auch Antworten auf diese Ansätze können beim Festival gesucht werden. „Ich fand Thema nicht doof, sondern ziemlich genial, weil sich daraus die Frage ergibt: Sind wir so satt, dass wir nicht teilen kön-nen?“, griff Anne Keilholz, Geschäftsführerin von STADT UND LAND, Rämers Statement auf. Das kommunale Wohnungsbauunternehmen ist in diesem Jahr erstmals Hauptsponsor des Kunstfestivals. „Im nächsten Jahr“, avisiert sie, „wird unsere gerade sanierte Konzernzentrale in der Werbellinstraße auch erstmals Veranstaltungsort sein.“ Diesbezüglich ist der Kulturstadtrat schon einen Schritt weiter: 2015 hing nur
die 48 STUNDEN NEUKÖLLN-Flagge an seinem Dienstgebäude, die Erwartungshaltung vieler, hier Kunst zu sehen zu bekommen, konnte jedoch nicht erfüllt werden: „Jetzt haben wir mit einer eigenen Ausstellung Premiere und werden die Besucher
beschallen und audiovisuell erfreuen.“
Auf ein weiteres Novum im Festivalprogramm wies Neuköllns Bezirksbürgermeisterin hin. „Samstag mache ich mit Partnern und Sponsoren eine VIP-Bustour durch Neukölln“, teilte Dr. Franziska Giffey mit, die die Kreativen als große Chance für die Entwicklung des Bezirks und das Festival als wichtigsten Be-standteil des Kulturjahrs in Neukölln erachtet: „Dass die 48 STUNDEN NEUKÖLLN politischer geworden sind und mit dem Motto auf aktuelle gesellschaftliche Debatten eingeht, begrüße ich sehr.“ Die Festivalleiter Dr. Martin Steffens (l.) und
Thorsten Schlenger (r.) sowie das Kulturnetzwerk Neukölln als Veranstalter, hielt Giffey fest, seien zum wichtigen Motor kreativer Prozesse und Experimente im Bezirk geworden.
Die Entwicklung des Festivals sei Wahnsinn, bestätigte Schlenger, „aber der eigentliche Wahnsinn liegt bei den Künstlern, wir stellen nur den Rahmen her.“ Befragt nach den Highlights antwortete er spontan: „Wir haben 400 Highlights!“
Das Kunstfestival 48 STUNDEN NEUKÖLLN wird morgen um 19 Uhr von Bezirksbürgermeisterin Giffey, Kulturstadtrat Rämer und S. E. Deividas Matulionis, Botschafter der Republik Litauen, im Kreativraum der Galerie im Körnerpark (Schierker Str. 8) eröffnet.
Bereits um 11 Uhr eröffnet Jugendstadtrat Falko Liecke im Kinder- und Jugendzentrum Lessinghöhe (Mittelweg 30) den Festivalspross JUNGE KUNST NK, der sich mit dem Motto „Schlaraffenland“ beschäftigt.
=ensa=
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