Für die Schnäppchenjagd hat das Revier am Alfred-Scholz-Platz spätestens Mitte nächsten Jahres ausge-dient. Dann macht das Karstadt-Outlet dicht, weil der Umbau der Schlüsselimmobilie an der Karl-Marx-Straße beginnt, die – wie vorgestern bei einer Pressekonferenz
mitgeteilt – Anfang 2019 als „101 Neukölln“ wiedereröff-net werden soll.
Im September letzten Jahres kaufte die S IMMO AG das fünfstöckige Gebäude samt des angeschlossenen Parkhauses. „Es war nicht nur die Lage des Objekts, die uns begeistert hat, sondern auch der morbide Charme des Kaufhauses und die Größe des Parkhauses“, sagt Robert Neumüller. Doch erhalten bleibt – abgesehen von der Lage – nichts davon. Vielmehr sieht der Geschäftsführer des deutschen Ablegers der österreichischen S IMMO AG den 1970 vom Quelle-Konzern erbauten Komplex als „perfektes Objekt, um Fantasien aus-leben zu können“. Die Kaufentscheidung, erwähnt Neumüller, der Neukölln auf der ersten Silbe betont, sei übrigens im Klunkerkranich gefallen. Dort zeige sich, wie sich Menschen ein Parkhaus zurückerobert haben: „Wir werden das auch machen, dabei aber
radikaler vorgehen.“
Dass das Parkhaus hinter dem Karstadt-Schnäppchenmarkt ebenfalls längst zweckentfremdet wird, erwähnt er nicht: In einem Aufbau über dem oberen Deck hat sich 2012 die Kreativagentur Hi-Res! ihre Berliner Dependance eingerichtet. Auch sie wird, obwohl perfekt in die Zielgruppe potenzieller 101 Neukölln-Büromieter aus der Kreativ- und New Economy-Sparte passend, dem Radikalumbau des Gebäudes weichen. „Wir werden nicht Mieter von 101 Neukölln und sind auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten“, erklärt Eva Hämmerle
von Hi-Res! Berlin auf Anfra-ge des FACETTEN-Magazins. Ziel sei es jedoch, weiterhin in Neukölln zu bleiben, da sich die Agentur dem Stadtteil sehr verbunden fühle.
„Wir werden mindestens 30 Millionen Euro inves-tieren, und das schließt den Kaufpreis nicht ein“, beziffert Robert Neumüller den monetären Aufwand für die Revitalisierung der Immobilie zwischen Alfred-Scholz-Platz und Donaustraße. Nach der Fertigstellung, kündigt er an, stehe eine Mietfläche von etwa 9.000 Quadratmetern für Einzelhandel, Gastronomie und Fitness sowie weitere rund 13.000 Quadratmeter für Büros zur Verfügung. Auf 67 Stellplätze werde die Zahl der PKW-Park-buchten
schrumpfen; im Gegenzug würden rund 160 Fahrradstellplätze eingerichtet, rund zwei Drittel davon in einem Raum im Erdgeschoss.
Das Gebäude, in dem derzeit über die Hälfte der Fläche leersteht, müsse neu strukturiert und „punktuell kleingeschnitten werden“, um Licht- und Lufträume innerhalb des Komplexes zu schaffen, beschreibt
Architekt Daniel Bormann (l.) die Vorgehensweise. „Die Park-hausspindel kommt weg, dort entsteht ein öffentlicher Garten mit Gastronomie“, geht der in Neukölln wohnende Geschäftsführer der REALACE GmbH ins Detail. Der Einzelhandel werde als Shopkonzept künftig auf die unteren
Geschosse des Kaufhauses begrenzt, darüber entstünden – ebenso wie im jetzigen Park-haus – Maisonette-Büros, wobei beide Baukörper im Parterre miteinander verbunden würden. Außerdem sei eine Dachterrasse mit Café und Frei-lichtbühne geplant. „Unser Ziel“, so Bormann, „ist eine
Symbiose zwischen alt und neu, bei der mit dem Bestand der 1970er Jahre-Architektur des Kaufhauses gearbeitet wird. Wir schaffen einen Ort, der lebt. Dann
wird auch der Einzelhandel funktionieren.“
Statt auf eine Fundgrube für Schnäppchenjäger soll dieser im 101 Neukölln auf die „qualitätsvolle Nahversorgung“ setzen und das Angebot durch „ausgewählte Einzel-handelsnutzer wie Künstler- und EDV-Bedarf sowie individuelle Shops für Mode- und Lifestyle“ ergänzen. Das Kaufhaussterben werde weitergehen, ist Daniel Bormann überzeugt: „Deshalb muss dieser Typus Haus mit markt-gängigen Konzepten belebt werden.“
Doch nicht nur das Innere des Gebäudes wird sich grundlegend verändern, um zu einem „neuen Zentrum für den Bezirk und einem Motor für das Umfeld“ zu werden. „Die jetzige Fassade kommt komplett runter und wird durch Glas mit Alu-Elementen ersetzt.“ Insbesondere bei der rückwärtigen Fassade seien die Projektentwickler vom Bezirk regelrecht aufgefordert worden, diese „nicht zu gewöhnlich“ zu
entwerfen, erzählt Daniel Bormann. Überhaupt sei das 101 Neukölln-Konzept eine Gemeinschaftsleistung mit dem Bezirksamt.
Für Dr. Franziska Giffey (l.) ist es keine Frage, die geplante Entwicklung des Kaufhauses, das sich gegenwärtig im Dornröschenschlaf befinde, zu unterstützen, um das Zentrum zu stärken sowie zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen. „Über 1.000 Kreativunternehmen wurden in Neukölln gegründet, und sie sollen keine Strohfeuer sein oder den Bezirk als Durchlaufort für die hippe Szene sehen“, begründet die Bezirksbürger-meisterin das Engagement.
Auch für Baustadtrat Thomas Blesing (r.), dessen Ressort für die Aufwertung der Neuköllner Magistrale verantwortlich zeichnet, passt das 101 Neukölln-Gebäude bestens ins Konzept: „Wir haben schon eine Menge entlang der Karl-Marx-Straße umsetzen können und den Investoren mit der Umgestaltung des Alfred-Scholz-Platzes eine Steilvorlage gegeben.“ Bei der Revitalisierung anderer Schlüsselimmobilien sei jedoch ein langer Atem gefordert, betont Blesing. Vor allem die direkt neben dem SinnLeffers-Kaufhaus gelegene Alte Post stelle ein schwieriges Unterfangen mit noch ungeklärter Zukunft dar. Konkret ist hingegen der Zeitrahmen für das ehemalige C&A-Gebäude: Bis 2018 wird es als Flüchtlingsunterkunft zwischen-genutzt,
für die Zeit danach werde vom Inhaber ein neues Konzept entworfen.
„Neukölln bietet momentan das größte Entwicklungs-potenzial in ganz Berlin“, sind Robert Neumüller, dessen Firma im Bezirk bereits das Projekt Sonneninsel im Portfolio hat, und Daniel Bormann überzeugt. Diese Sonderstellung erklärt sich allerdings schon dadurch, dass der Aufstieg aus der Talsohle beginnt, während andere Bezirke längst ihre Basislager in höheren Gefilden aufgeschlagen hatten.
=ensa=
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