Ausschlafen konnten sie gestern – theoretisch, denn praktisch verhindert das oft die innere Uhr, die nicht gerade für ihre Flexibilität bekannt ist. Heute aber ging der Alltag in
eine neue Runde, was für die meisten Angestellten in der Backstube der Neuköllner Bio Konditorei Tillmann von mon-tags bis samstags bedeutet: Mitten in der Nacht mit der Arbeit beginnen, damit früh um halb 6 alles bereit zur Auslieferung ist.
Schon eine Stunde später öffnet die Filiale am Britzer Damm, eine weitere halbe Stunde danach die in Wilmersdorf, und die Kunden erwarten volle Auslagen. Letzteres Geschäft gehöre zur Firma, sagt Tillmann-Geschäftsführer Dirk Biesenbach: „Die Zweigstelle in Neukölln ist trotz des identischen Namens ein eigenständiges Unternehmen, das aber von uns beliefert wird.“ Ebenso wie zahlreiche Verkaufsstellen in Berlin und Brandenburg, zu denen u. a. auch die Bio Company-Filialen, LPG-Märkte, der BIG Bio-Discount an der Lahnstraße und das Café Rix
im Neuköllner Saalbau gehören. „An jedem Pro-duktionstag stellen wir 50 bis 70 Torten her und backen bis zu 100 Blechkuchen und durchschnittlich rund 3.000 Kleingebäck-Stücke“, zählt Biesenbach auf.
Obwohl die letzten Bleche schon vor Stunden aus dem Etagenofen im vorderen Bereich der Produktionshalle gezogen wurden, geben die Schamottsteine noch eine wohlige Wärme ab. Der direkt daneben ste-hende Stickenofen wirkt erheblich weniger nachhaltig.
„Er funktioniert nach dem Prinzip der Umluftöfen“, erklärt Eva Angerer (r.) die Arbeitsweise der begeh-baren Backkammer, die Plunderteile und Croissants den Weg vom Rohzustand zum verkaufsfertigen
Endprodukt absolvieren lässt.
Angerer ist Qualitätsmanagerin in der Bio-Konditorei Tillmann und gehört zu der Hälfte der Belegschaft, die zu normalen Zeiten soziale Kon-takte pflegen kann und nicht zu den Nachmittagsvorstellungen ins Kino gehen muss – wie die rund 20 Bäcker und Konditoren, unter ihnen auch fünf Meister und Azubis, die in der Produktion beschäftigt sind.
Qualität ist das A und O in dem Neuköllner Unternehmen, das 1989 von Bernd Tillmann gegründet wurde, den ersten Standort in der Briesestraße hatte und vor etwas mehr als zwei Jahrzehnten auf das Grund-stück von Märkisches Landbrot in der Bergiusstraße umzog. Was in den temperierbaren Anschlag-maschinen zu einer Pudding- oder Creme-Masse wird, in den Teigkneter kommt und anschließend zwischen Walzen zu exakt millimeterdünnen Teigbahnen ausgerollt wird,
besteht ausschließlich aus Zutaten aus kontrolliert biologischem Anbau, bestenfalls aus der Region.
Zusatz- oder Konservierungsstoffe und Vollei, so das Credo, haben in Tillmann-Produkten nichts zu suchen, was für neue Kollegen mit Erfahrungen aus der Industriebäckerei zunächst ein Umdenken und -lernen bedeutet.
Etwa 500 Quadratmeter misst die Produktionshalle. „Wir machen so viel wie möglich in Handarbeit“, sagt Eva Angerer. Im Spätsommer sind es Pflaumen, die massenweise manuell geschnippelt werden, jetzt beginnt langsam die Erdbeer-Saison. Rund sechs Kilogramm der Früchte werden benötigt, um eine Hochzeitstorte in Herzform zu belegen. Absehen von
derartigen Sonderbestellun-gen, die zum Alltag in der Biokonditorei gehören, um-fasst das Sortiment über 20 verschiedene Torten, wobei nicht jede jeden Tag in den Verkaufsstellen erhältlich ist: „In diesem Bereich werden Rohlinge vorproduziert, schockgefrostet und erst bei
Bedarf zu fertigen Torten montiert.“
Die Spezialität von Tillmann sei die Verbindung von traditionellem Handwerk und Rezepten mit neuen Innovationen, die die Bedürfnisse der Kunden widerspiegeln, beschreibt Geschäftsführer Biesenbach die Strategie für ein stetiges Wachstum: „Man spürt in Berlin definitiv ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein, weshalb wir auch vegane Produkte in unser Angebot aufge-nommen haben, die total gut laufen.“ Allerdings werde die traditionell verankerte Verwendung hochwertiger
Zutaten nicht nur von den Anhängern aktu-eller Ernährungstrends geschätzt. Die Überzeugung, dass bessere und mit höheren Preisen verbundene Rohstoffe mit einem Mehrwert für die Verbraucher einhergehen, teilten auch Stammkunden, die dies schon seit Jahren oder sogar Jahrzehnten sind, weiß Dirk Biesenbach.
=ensa/kiezkieker=
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