Rot-grüner Schulterschluss vor dem Neuköllner Rathaus

kuenning_birk_kofbinger_idahot rathaus neukoellnBei regnerischem Wetter brachten vorgestern Mittag die bunten Sonnenschirme zweier Parteien Farbe auf den Platz vor dem Rathaus Neukölln. Zuerst waren es die Grünen, später die SPD. Der Grund, warum sie sich an diesem Tag auf dem Rathausvorplatz sprichwörtlich die Klinke in die Hand gaben?

Seit 2005 wird am 17. Mai der Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie begangen, der als IDAHOT abgekürzt wird. Der Aktionstag soll darauf aufmerksam machen, dass Menschen, die mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität von der heterosexuellen Norm der Mehrheit abweichen, weltweit kofbinger_birk_kuenning_idahot rathaus neukoellnimmer wieder diskriminiert und bestraft werden.

Mit einem großen Transparent, das die Aufschrift „Bunt fürs Leben – Ehe für alle“ trug, nahmen gegen halb Zwölf Anja Kofbinger und Thomas Birk, Queer-Politiker der Grünen Abgeordnetenhaus-Fraktion, gemeinsam mit der Grünen Bezirks-verordneten Ursula Künning sowie weiteren Unterstützerinnen und Unterstützern auf der Rathaus-Treppe Aufstellung. Wenig kofbinger_szczepanski_idahot rathaus neukoellnspäter kam auch Sozialstadtrat Bernd Szczepanski (r.) in einer Pause der wöchentlichen Sitzung des Bezirksamtes zum Fototermin mit Kofbinger (l.) vor die Tür des Rathauses.

Eine queerpolitische Hauptforderung der Grünen ist seit langem die Öffnung der Ehe für lesbische und schwule Paare. Bereits im August 2001, zu Zeiten der rot-grünen Koalition im Bundestag, trat zwar das Lebenspartnerschaftsgesetz in Kraft, aufgrund dessen gleichgeschlechtliche Paare erstmals eine rechtlich anerkannte Verbindung eingehen konnten. Eine Bundesratsmehrheit von CDU und CSU verhinderte damals aber die im rot-grünen Gesetzesentwurf vorgesehene völlige Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit der Ehe. Ausgenommen ist im Lebenspartnerschaftsgesetz insbesondere das gleiche Recht zur gemein-schaftlichen Adoption.

„Kinder, die von lesbischen Müttern oder von schwulen Vätern erzogen werden, erfahren die gleiche Liebe wie Kinder von heterosexuellen Eltern“, besagt ein am Stand ausliegender Flyer. Die Entwicklung der Kinder verlaufe nicht anders und ihre Chancen im Leben seien nicht schlechter. Fazit der Grünen: „Es gibt keinen Grund, fuerst_boecker-giannini_idahot rathaus neukoellnlesbischen und schwulen Paaren ihren Kinder-wunsch zu verweigern!“

Eine Stunde später, die Grünen waren bereits wieder weg, baute Nicola Böcker-Giannini (r.), gemeinsam mit Stefan Fuerst (l.), Vorsitzender der AG Queersozis Neukölln, und seinem Stellvertreter Ramin Rachel ihren Stand in der Karl-Marx-Straße auf. „Wir wollen die Ehe für alle – mit gleichen Rechten und Pflichten“, sagte Böcker-Giannini, Kandidatin für das Abgeordnetenhaus von Berlin im Neuköllner Wahlkreis 1 sowie queerpolitische Sprecherin der Neuköllner SPD. „Unser Ziel ist es, die Akzeptanz von unterschiedlichen und vielfältigen Lebensentwürfen in unserer Gesellschaft voranzutreiben. Jeder Mensch hat das Recht auf gleiche Chancen und Freiheiten – unabhängig von Geschlecht, sexueller Identität oder Herkunft“, erklärte die Politikerin weiter.

Die zweite Forderung, die Nicola Böcker-Giannini sowie ihre SPD-Mitstreiter erhoben: „Wir setzen uns für eine umfassende Rehablitierung der nach § 175 des Strafgesetzbuches verurteilten Männer ein und unterstützen die Initiative des Justizministers Heiko Maas.“ Seit der Kaiserzeit war in Deutschland Homosexualität von Männern – unter wechselnden Tatbestandsvorausseztzungen – bis 1994 strafbar. Der Deutsche Bundestag hob erst 2002 die während der Nazi-Zeit verhängten Urteile gegen Homosexuelle auf. Urteile, die zwischen 1945 und 1994 gegen rund 50.000 Männer ergingen, gelten allerdings weiter. Maas kündigte nun in einem Interview fuerst_boecker-giannini_giffey_rachel_idahot rathaus neukoellneinen weitreichenden Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der nach § 175 StGB Verurteilten an.

Bezirksbürgermeisterin Dr. Franziska Giffey (2. v. r., neben Ramin Rachel) schaute – ebenso wie zuvor ihr Bezirksamtskollege Szczepanski bei den Grünen – am Stand der SPD vorbei. „Für eine Welt ohne Homo- und Transphobie“, stand auf dem Schild, das die Bezirksbürgermeisterin nicht grundlos in die Kamera hielt. 259 Taten, die auf Homophobie, Transphobie oder Biphobie zurückzuführen waren, erfasste das Anti-Gewalt-Projekt Maneo allein im vergangenen Jahr nur in Berlin. Laut einer Studie aus dem Jahr 2014 unter mehr als 5.000 Jugendlichen, die nicht der heterosexuellen Norm entsprachen, berichteten 55 Prozent der Befragten von Beleidigungen und Beschimpfungen, 10 Prozent von körperlichen Angriffen. 66 Prozent der Jugendlichen gaben an, dass ihre sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität im familiären Umfeld nicht ernst genommen würde.

=Christian Kölling=

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