An die SPD-Politiker Ernst Reuter und Carlo Mierendorff wird an prominenter Stelle im Berliner Stadtbild erinnert. Schon weniger bekannt sind Siegfried Aufhäuser und der nach ihm benannte Platz am S-Bahnhof Sonnenallee. Sie alle waren politische Weggefährten von Franz Künstler, dem im Jahr 1960 – 18 Jahre nach seinem Tod – die Franz-Künstler-Straße gewidmet wurde.
Die frühere Lehrerin und promovierte Historikerin Dr. Ingrid Fricke hat sich jahrelang intensiv mit dem Leben und politischen Wirken von Franz Künstler beschäftigt, der den Großteil seines Lebens in Neukölln gewohnt hat. Sie hat auch über ihn am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin promoviert und das Buch „Franz Künstler (1888 – 1942) – eine politische Biogra-phie“ veröffentlicht, das vor einigen Wochen im Verlag für Berlin-Brandenburg erschienen ist.
Im Buch – und auch bei dessen Präsentation im Februar im Willy-Brandt-Haus – weist die Autorin darauf hin, dass leider nur wenig Persönliches über Künstler bekannt ist. Dies führt sie u. a. darauf zurück, dass er „als Kind der Arbeiterklasse“ kein Tagebuch geführt hat, weil so etwas in diesen sozialen Kreisen nicht üblich gewesen sei. Hinzu komme auch, dass sich keine näheren Verwandten des kinderlos gebliebenen Ehepaars Künstler mehr finden ließen. So richtete Dr. Fricke das Hauptaugenmerk auf den „politischen Künstler“, auf seine politischen Aussagen und Ziele, die in Reden, schriftlichen Protokollen und anderen Unterlagen dokumentiert sind.
Wer war nun Franz Künstler? Im Jahre 1888 im Kreuzberger Arbeiterviertel SO 36 geboren, trat er schon mit 19 Jahren der SPD bei. Künstler absolvierte eine Lehre als Maschinenschlosser und betätigte sich in späteren Jahren im Deutschen Metallarbeiter-Verband. Von 1919 bis 1920 war er SPD-Stadtverordneter und stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher in Neu-kölln. Stadtverordnetenvorsteher war zu dieser Zeit Alfred Scholz, dem der Bezirk vor knapp zwei Jahren den Alfred-Scholz-Platz gewidmet hat. Von 1923 bis 1933 hatte Franz Künstler schließlich das Amt des Bezirksvorsitzenden der Berliner SPD und war mithin einer der Vorgänger von Jan Stöß.
Mit einer kurzen Unterbrechung gehörte er von 1920 bis 1933 den Reichstagsabgeordneten an. Wir erfahren in Ingrid Frickes Buch, dass er sich dort vor allem mit dem Themenkomplex Reichswehr und deren Stellung zur demokratischen Republik beschäftigt hat und einer der SPD-Abgeordneten war, die im März 1933 gegen das sogenannte Ermächtigungsgesetz der Nationalsozia-listen stimmten.
Dies die nüchternen Zahlen zu seinen politischen Tätigkeiten. In der 480-seitigen Biographie wird verdeutlicht, wie die Politiker und politisch engagierten Menschen – unter ihnen auch Franz Künstler – miteinander um die „richtige“ gesellschaftliche Richtung in der Weimarer Republik rangen. Sehr eindrucksvoll schildert Ingrid Fricke, wie schnell die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung im Januar 1933 ihr politisches Regime verwirklichten und wie menschenverachtend sie dabei gegen ihre politischen Gegner vorgingen: Künstler wurde zweimal inhaftiert und dabei misshandelt und gedemütigt. Von der Gestapo beobachtet, hatte er trotzdem den Mut, auf Beerdigungsfeiern für verstorbene Sozialdemokraten Reden zu halten und u. a. einem illegalen Metallarbeiter-Netzwerk anzugehören.
Als Arbeiter war er seit Oktober 1934 in der Maschinenfabrik Hans Blache in der Neuköllner Hobrechtstraße tätig. Bei Kriegsbeginn, im September 1939, musste er als Lastenträger für das Wehrmachts-Versorgungsdepot in Berlin-Tempelhof zentnerschwere Säcke schleppen. Durch die Misshandlungen in den zwei Haftzeiten schon schwer gesundheitlich geschädigt, erlitt er am 10. September 1942 in der Straßenbahn einen Herzschlag. Franz Künstler wurde nur 54 Jahre alt.
Für Künstlers Biografie hat Dr. Ingrid Fricke umfangreiches Material gesammelt. Einige Fragen, die darin leider unbeantwortet bleiben, konnte ich der Historikerin kürzlich stellen:
Was für ein persönliches Bild haben Sie sich von dem Menschen Franz Künstler gemacht. Weiß man etwas über seine Hobbys, gibt es Äußerungen seiner Ehefrau über ihn?
I. F.: Bei der Arbeit an meinem Buch hat mich in erster Linie der politische Mensch Franz Künstler interessiert, die Entwicklung seiner politischen Grundpositionen und seine politischen Leistungen. Da er in der Berliner SPD allgemein anerkannt und beliebt war, muss er wohl auch ein persönlich sehr sympathischer und gewinnender Mensch gewesen sein. Franz Künstler hatte neben seiner umfangreichen politischen Tätigkeit ein sehr schönes Hobby, das er über viele Jahre hinweg ausübte: Er sang regelmäßig in einem Chor. Damit hatte er, wie auch in meinem Buch beschrieben, schon als Lehrling begonnen. In der Zeit der Weimarer Republik sang er in dem Arbeitergesangverein Fichte-Georginia 1879 und in der NS-Zeit im Chor Berliner Liederfreunde 1879. Äußerungen von Franz Künstlers Ehefrau über ihn sind nicht überliefert. Margarete Künstler selbst starb Ende 1980 in einem Seniorenwohnheim in Wilmersdorf.
Die im September 1993 montierte Gedenktafel für Franz Künstler in der Elsenstraße 52, wo der Politiker zuletzt wohnte, wurde vor einigen Jahren wegen der Fassadenrenovierung entfernt und bis heute nicht wieder angebracht. Wissen Sie von Initiativen seitens der SPD, dass ihm auf andere Weise gedacht werden soll?
I. F.: Es wird schon sehr bald eine neue Gedenktafel für Franz Künstler in Neukölln angebracht werden – und zwar durch eine gemeinsame Initiative der Berliner SPD und des Vereins Aktives Museum. Die neue Tafel soll am 13. Mai am Haus Weigandufer 16 (dort wohnten Margarete und Franz Künstler von 1926 bis 1933) angebracht werden.
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