Ayla hat sich mit ihren beiden jüngeren Geschwistern und ihrer Mutter hinter das größte Transparent gestellt. „Aylas Familie muss bleiben! Keine Abschiebung!“ steht auf weißem Satin. Der Vater kann nicht bei der Kundgebung sein, die von der Schule seiner Tochter auf die Schnelle organisiert wurde. Er sei gerade da-bei, sich um Kirchenasyl zu kümmern, sagt Karoline Pocko Moukoury, die Rektorin der am Rand der Weißen Siedlung gelegenen Sonnen-Grundschule.
Allein auf die Hoffnung, durch Briefe an Politiker und die Demonstration mit medialem Nachhall etwas zu erreichen, will sich die Neuköllner Familie nicht verlassen. Bis zum 23. März muss sie aus Deutschland ausreisen, sonst wird sie nach Aser-baidschan, in die Heimat der Eltern, abgeschoben. Letzten Mittwoch erfuhr die Schulleiterin davon – und war entsetzt. Aylas Vater verließ Aserbaidschan wegen des bewaffneten Konflikts in der Bergkarabach-Region, lebe seit 16 Jahren im Duldungsstatus hier und habe, ebenso wie seine Familie, die Zeit genutzt, „sich sprachlich und
kulturell zu integrieren“. Alle drei Kinder kamen in Berlin zur Welt und haben keinerlei Beziehung zum Herkunftsland der Eltern. „Die Abschiebung ist eine unmenschliche Entscheidung“, findet Karoline Pocko Moukoury, die nicht nur mit Aus-hängen und Gesprächen das Kollegium zum
Protest mobili-sierte, sondern auch Briefe an Behörden verfasste, um ihrer Empörung Luft zu machen. Die Eltern-vertretung der Schule organisierte schließlich die gestrige Kundgebung.
„Ayla muss bleiben! Ayla muss bleiben! Ayla muss bleiben!“, skandieren die Kinder und recken energisch die Plakate in die Luft, die sie im Unterricht gemalt haben, wo auch das Thema Duldung behandelt wurde. 330 Mädchen und Jungen, unter ihnen nur 7 Prozent sogenannte Bio-Deutsche, besuchen die Sonnen-Grundschule. Bis auf die 5. Klassen, die gerade auf Klassen-
fahrt sind, haben sich alle vor der Schule versammelt, um für Ayla aus der Klasse 1A zu kämpfen. Auch einige Eltern sind gekommen. Über dem Eingang zur Schule hängt ein Banner, das ausweist, dass sie zum bundesweiten Netzwerk „Schule ohne Ras-sismus, Schule mit Courage“ gehört.
Besser als mit einer so einer Aktion kann man Courage gar nicht beweisen, meint Jochen Biedermann von den Neuköllner Grünen: „Es ist so zynisch: Die Menschen, die zu uns kommen, sollen sich integrieren, und wenn sie es getan haben, werden sie abgeschoben.“ Man könne nur hoffen, dass die fordernden Rufe der Kinder die Ohren bei CDU und SPD öffnen, wünscht sich Biedermanns Partei-kollege Georg Kössler, der für den Wahlkreis 3 kandidiert, in dem die Sonnen-Grundschule liegt. „Jetzt“, sagt er, „muss Innensenator Henkel beweisen, dass er unabhän-gig von politischen Leitlinien auch ein Mensch ist.“ Die Abschiebung einer Familie, die 16 Jahre lang in der Duldungskette hing und sich währenddessen um Integration bemüht habe, würde ein fatales Zeichen für alle anderen Asylbewerber setzen. Allein die Zahl derer, die ähnlich lange wie die Mammadovas geduldet in Deutsch-land leben, wird auf die Einwohnerstärke einer mittelgroßen Kleinstadt geschätzt.
Während Anja Kofbinger, Grünen-Delegierte im Berliner Abgeordnetenhaus, Aylas Familie nun empfiehlt, „sofort eine Online-Petition einzurei-chen“, um den laufenden Abschiebungsprozess zum Stocken zu bringen, rät Neuköllns Sozialstadtrat Bernd Szczepanski (Grüne) zur Konsultation der Berliner Härtefallkommission. Die allerdings liegt im Zuständig-keitsbereich von Frank Henkel, und der CDU-Politiker hat gerade im letzten Jahr die Härtefallregelung dahingehend verschärft, dass keinen Antrag mehr stellen kann, wer bereits ein Ausreisedatum mitgeteilt bekam. Und das trifft auf Aylas Familie zu. Die Kinder und Lehrer der Sonnen-Grundschule wollen trotzdem die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Siebenjährige samt ihrer Eltern und Geschwister bleiben darf.
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