Die Gegenstimmen der Neuköllner Piraten und die Enthaltungen der Grüne- und Linke-Fraktionen nützten nichts – wie immer, wenn sich SPD und CDU einig sind: Im November beschloss die Bezirksverordnetenver-sammlung, dass im Bezirk eine Straße oder ein Platz „zur Würdigung ihres Wirkens in Neukölln“ nach der 2010 gestorbenen Jugendrichterin Kirsten Heisig benannt werden soll. Freitag, auf den Tag genau vier Monate nach dem Beschluss, war es soweit. Seitdem heißt der bisher namenlose Platz an der Feuerwache Neukölln Kirsten-Heisig-Platz.
Baustadtrat Thomas Blesing hatte zu diesem „beson-deren Anlass im Herzen Neuköllns“ etliche Gäste zu begrüßen: SPD-Delegierte aus Bundestag und Abgeordnetenhaus waren ebenso anwesend wie der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten, Ex-Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky und Justizsenator Thomas Heilmann sowie die Leiter des Polizei-Abschnitts 55 und der Neuköllner Feuerwehr. Zudem nahmen Dr. Franziska Giffey nebst drei von vier Stadträten und viele Bezirksverordnete an dem Festakt teil.
Rar machten sich indes die Mitglieder der Par-teien, die die Platzbenennung nicht befürwortet hatten. „Wir haben uns enthalten, weil die Hälfte der Fraktion gegen einen Kirsten-Heisig-Platz war“, sagt Bertil Wewer, der für die Grünen dem Ausschuss für Verkehr und Tiefbau angehört, den der Antrag vor der BVV-Entscheidung passiert hatte. Grund für das Veto seien Heisigs umstrittene Thesen gewe-sen, die „immer die Ethnie jugendlicher Straftäter her-vorgekehrt“ hätten, aber nicht die sozialen Umstände. Marlis Fuhrmann (Linke) hatte ebenfalls bereits in der Ausschusssitzung ihre Ablehnung erklärt. „Ich halte eine Prävention für wirkungsvoller als das Setzen
auf die Justiz“, begründet sie, für eine Vorbeugungskette von der Kita über die Schule bis zur Ausbildung plädierend: „Außerdem gehört eine breite Auseinandersetzung über Teil-habe an der Gesellschaft und Vorstellungen vom ‚richtigen‘ Leben dazu.“ Von der Neuköllner Piraten-Fraktion war keine Stellungnahme zu erhalten.
Kirsten Heisig, die ob der Erfindung des Neuköllner Modells zur schnellen, vereinfachten Verurteilung delinquenter Jugendlicher als „Richterin Gnaden-los“ bekannt wurde, habe durchaus nicht nur positive Resonanz, sondern zugleich viel Gegenwind für ihre Arbeit bekommen, erwähnte auch Bezirksbürgermeisterin Giffey (r., neben Justizsenator Heilmann): „Aber sie hat aus Überzeugung gehandelt, Zeichen für Neukölln gesetzt und viel für den Bezirk getan. Unsere Aufgabe ist, das Erbe wach zu halten.“
Einer, der eng mit der Jugendrichterin zusammen-gearbeitet hat, die seit 2008 am Amtsgericht Tiergarten für den Bezirk Neukölln zuständig war und nach dem Motto „Schnell muss es gehen und weh muss es tun“ agierte, war Heinz Buschkowsky (r.). Er sei auch einer der Letzten gewesen, der sie lebend gesehen habe. „Zwei Tage vor ihrem Verschwinden war Kirsten Heisig noch im Rathaus, um Fotos für ihr Buch machen zu lassen“, erzählte der ehemalige Bezirksbürgermeister. Fröhlich und optimis-tisch sei sie gewesen. Nichts habe erahnen lassen, dass sie „kurz darauf dem Ruf der Krankheit folgen“ würde. Am 30. Juni begann die Polizei nach der an Depressionen
Erkrankten zu suchen; am 3. Juli wurde ihre Leiche im Tegeler Forst gefunden. Die Erstausgabe von Heisigs Buch „Das Ende der Geduld“, das zum Bestseller wurde, erschien knapp drei Wochen später.
Inzwischen sei die Jugendgewalt in Berlin deutlich und ein Stück weit auch in Neukölln zurückgegangen, hatte Justizsenator Thomas Heilmann bei seiner Ansprache zur Benennung des Kirsten-Heisig-Platzes an der Kreuzung Emser-/Kirchhofstraße berichtet. Das Neuköllner Modell, fand Heinz Buschkowsky, könne denn-noch eine stärkere Revitalisierung gebrauchen: „Es stottert etwas, weil der Motor nicht mehr da ist.“ Schon bei einer Gedenkveranstaltung für Kirsten Heisig im September 2010 hatte der Ex-Bezirkschef appelliert, dass man sich den Inhalten widmen müsse, die Kirsten Heisig hinterlässt. Der nach der polarisierenden Richterin benannte Platz an einem lebhaften Neuköllner Verkehrsknotenpunkt kann auch als Metapher dafür gesehen werden, es in alle Richtungen zu tun.
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