Annäherung mit vielen Fragen und noch mehr Antworten an jüdische Lebenswelten

judentum-gespraechsreihe_genezareth-kirche neuköllnJüdisches Leben spielte in Berlin lange eine große Rolle. Vor 90 Jahren wohnten rund 173.000 Menschen jüdischen Glaubens in der Stadt und prägten sie. Auch synagoge neukoellnin der Nähe des Neuköllner Rathauses, in der Isarstraße, gab es damals eine Synago-ge. Den 2. Weltkrieg und das Ende des Nazi-Regimes haben nur knapp 9.000 Juden in der Hauptstadt er- und überlebt.

Vor allem durch den Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion wuchs die Stärke der jüdischen Gemeinde in Berlin seit den 1990er Jahren wieder an: Heute zählt sie über 10.000 Mitglieder und ist damit die größte Deutschlands. Aber was heißt es eigentlich, jüdisch zu sein, was impliziert der Begriff Judentum, wird er von Religion oder Kultur geprägt? Oder ist die andreas goetze_lior bar-ami_genezareth-kirche neukoellnAbstammung das Entscheidende? Mit diesen Fragen beschäftigte sich gestern in der Genezareth-Kirche die erste von zwei Veranstaltungen, die in jüdische Lebenswelten einführen und zum Dialog zwischen beiden Religionen beitragen wollen.

Es sei ein Geschenk, mit dem Rabbiner Lior Bar-Ami (r.) hier zu sein, betonte Dr. Andreas Goetze (l.) und erinnerte daran, dass bis vor 50 Jahren Funkstille zwischen den Glaubensrichtungen herrschte: „Sich mit dem Judentum neu zu befassen, ist für das Christentum eine große Herausforderung.“ Die Verhaftung in Klischees und das Pauschalisieren helfe bei dieser Neuorientierung des Verhältnisses jedenfalls nicht weiter, ist der Landespfarrer für den interreligiösen Dialog judentum-gespraechsreihe_genezareth-kirche neukoellnüberzeugt. Um Stereotypen ging es jedoch zunächst Lior Bar-Ami.

Die Begriffe, die beim Hören des Wortes Judentum zuerst einfallen, wollte der aus Ostwestfalen, wo man gerne nuschele, stammende Rabbiner vom Publikum erfahren. Die Sammlung wurde lang: Von Diaspora, „lustige Zöpfe“ und jüdische Mutter über Sabbat, Beschneidung, geschlossene Gesellschaft und Volk Israel bis hin zu „immer auf der Flucht“, Kippa und „zwei Juden, drei Meinungen“ reichte sie. Ein Referat lior bar-ami_genezarethkirche neukoellnwolle er daraus nicht machen, kündigte Bar-Ami an: „Ein Vor-trag ist mir zu langweilig, ich will im Dialog mit Ihnen lernen.“ Um Verständnis bat er indes dafür, dass er nicht auf politi-sche Fragen eingehen werde.

Auch ohne diese gab es reichlich Gesprächsstoff, der einer-seits den Wissensstand einiger Anwesender im Publikum deutlich machte, andererseits aber ebenfalls die Defizite und den Aufklärungsbedarf. Ägypten sei ein immer wiederkehrendes Motiv in der Tora, der Sabbat ein Tag zum Existieren und der Messias quasi eine Metapher für den Sankt Nimmerleinstag, erklärte der Rabbiner, der in Potsdam jüdische Theologie studierte, aber dennoch ein „ganz normaler Mensch“ geblieben sei, weil Rabbiner judentum-gespraechsreihe_genezarethkirche neukoellnnicht geweiht würden. Oft, gab Lior Bar-Ami zu, wüssten auch sie nicht weiter, wenn es um die Auslegung der 613 Gebote und Verbote gehe und rieten daher zu „Schaut, was das Volk macht!“. Schon allein die Speisengebote würden Stoff für einen ganzen Abend liefern. Bei allem dürfe man nicht vergessen, dass der Talmud bereits im 6. Jahrhundert abgeschlossen wurde: „Seitdem gehen die Diskussionen weiter.“ Dazu komme, dass es unter den Mitgliedern der Gemeinde drei Haupt-strömungen gebe: orthodoxe, konservative und reformorientierte Juden. Biblisch andreas goetze_lior bar-ami_genezarethkirche neukoellngesehen, sagte Bar-Ami, werde man durch die Mutter jüdisch, außerdem gebe es aber nach einer Prüfung durch drei Rabbiner die Möglichkeit des Konvertierens.

Grundsätzlich, fasste Lior Bar-Ami zusammen, lasse sich das Jüdisch-Sein nicht auf die Aspekte Religion, Kultur oder Abstammung reduzieren. Es sei vielmehr eine Lebens-einstellung. „Das Judentum ist eine Religion des Handelns, ohne Dogmen. Und die Eingangsfrage, was es bedeutet jüdisch zu sein, ist auch eine, mit der sich alle Juden immer wieder beschäftigen müssen.“ Insofern sei die Definition, was das Judentum ist, von außen wie von innen gleichermaßen schwierig.

Beim zweiten Teil der Veranstaltung in der Genezareth-Kirche geht es am 15. März um 19 Uhr unter dem Titel „Christentum und Judentum – Geschwister oder was?“ um eine Annäherung an Unvertrautes.

In der Galerie Olga Benario läuft noch bis zum 31. März die Ausstellung „Dem Leben hinterher – Fluchtorte jüdischer Verfolgter“ mit einem Begleitprogramm dokumentarischer Filme und einer biografischen Lesung.

=ensa=

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