Eigentlich hätten Oliver Zagorni und Robert Halter nur für einige Tage einen Laden gebraucht. Denn das, was sie anbieten, darf nur von heute bis übermorgen verkauft werden. Doch auf eine Anmietung von unter zwei Monaten wollte sich der Makler nicht einlassen. „Die Räume sind zwar kleiner als die, die wir im letzten Jahr ein paar Minuten entfernt hatten, aber sie sind ausreichend und die Lage ist super“, begründet Robert Halter die Entscheidung. Von einer Gewerbeimmobilie in einem bildungsbürgerlich geprägten Kiez hätte er das Gegen-teil
behauptet.
„Feuerwerk“ steht in großen Lettern über dem Laden an der Pichelsdorfer Straße, die zu den ältesten Straßen Spandaus gehört. Auf der Eingangstür sind Hinweise angebracht, dass das Betreten des Geschäfts auf eigene Gefahr erfolgt und unter 18-Jährigen ohne erwachsene Begleit-person verboten ist. Das Schaufenster ist mit neonfarbenen Streifen beklebt, auf denen von High End, XXL, innovativen Neuheiten und effektstarken Klassikern die Rede ist. Aber auch von „weil wir wissen was herauskommt!“ und professioneller Beratung. Ginge es nach Oliver Zagorni (l.) und Robert Halter (r.), wären es letztere Argumente, die ihre Kunden in den Laden locken. Beide sind Inhaber der Firma Spandau Feuerwerk und Pyrotechniker mit profunder Erfahrung. Bei den diesjährigen
Neuköllner Maientagen inszenier-ten sie die samstäglichen Höhenfeuerwerke über dem Rummelplatz in der Hasenheide. Ihre Beratung werde auch durchaus gerne angenommen, sagt Zagorni: „Allerdings wollen männliche Kunden nur etwas über die Effekte wissen, es sind die Frauen, die sich nach
den Sicherheitsaspek-ten erkundigen.“ Und die richtige Handhabung ist schon bei Wunderkerzen und allem wichtig, was zur Kategorie 1, dem so genannten Jugendfeuerwerk mit einer erlaubten Satz-menge bis zu 7 Gramm, zählt.
Eissphinx, Hypnotika, Schwarze Witwe, Barbarossa, Lila Lena und Erzengel heißen die Geschosse aus dem Sortiment für Erwachsene. „Bei den Namen fragt man sich schon, was die genommen haben, die sie erfunden haben“, meint Robert Halter belustigt. Über andere Begebenheiten, die beim Handel mit Pyrotechnik usus sind, kann er längst nicht mehr lachen: „Wir verkaufen nicht die bunten Bildchen, sondern
den Inhalt.“ Vor allem bei Baumärkten und Discountern sähe das aber ganz anders aus. Dort zählten die Endverbraucher-Aufbereitung der Batterien und Raketen, die brachialen Namen und der Preis, der oft – gemessen am eigentlich entscheidenden Faktor: der Nettoexplosivstoffmasse – viel zu hoch sei. Dass es zudem keine Bera-tung gebe, wirft Halter ihnen nicht vor. Schließlich steht auf allen Packungen, was sicherheitstechnisch zu beachten ist. Dass sich nicht jeder daran hält, sei das Problem.
Wenn eine Feuerwerksbatterie laut Aufdruck Stand-sicherheit erfordert, dann sollte man die auch im eigenen sowie dem Interesse Umstehender z. B. durch Steine schaffen, mahnt Oliver Zagorni. Sonst könne es leicht passieren, dass die Knallkörper seit-lich abgehen statt gen Himmel zu starten. Beim Abschießen von Raketen rät er dringend vom Nutzen einer leeren Flasche ab – und zum Gebrauch von PE-Rohren. Außerdem sei nicht nur die Windrichtung zu beachten, sondern auch, dass der als EU-Norm vorgeschriebene Mindestabstand nach dem Zünden nicht nur für den gilt, der die Rakete abgeschossen hat. „Die 8 Meter“, so seine Einschätzung, „sind ein
absolutes Minimum.“
Was im Handel effektstark genannt wird, ist real grenzwertig: 20 Gramm Nettoexplosivstoffmasse (NEM) darf eine Rakete in Deutschland haben; für Feuerwerksbatterien sind bis zu 500 Gramm, in Kombination mit Fontänen sogar bis zu 600 Gramm erlaubt. Das 25-Schuss-Feuerwerk namens Barba-rossa bringt es auf 493 Gramm. Gigantische Buketts aus Rot- und Grünflimmer und blauen Sternen mit einem Zentrum aus Titangoldpalmen sind in der Box verbaut. Alle Effekte steigen mit einem Goldflimmer-Schweif auf und bersten mit einem laute Zerlegerknall, beschreibt der Hersteller. Da Halter und Zagorni ihre Produkte nicht vorführen können, haben sie Videos gedreht, die den Kunden die Kaufentscheidungen erleichtern sollen: „Alles, was wir im Laden anbieten, haben wir selber ausprobiert.“ Auch in Polen hergestellte Böller sind
dabei, weil eben längst nicht alles illegal sei, was dort produziert werde.
Die Unterscheidung zwischen erlaubtem und unerlaub-tem Konsumentenfeuerwerk habe sich Deutschland allerdings durch einen Sonderweg abseits der EU-Richtlinien selber erschwert, kritisieren die Pyro-techniker. „Es ist doch absurd, dass das, was Legales von Illegalem trennt, nämlich die BAM-Nummer, nicht aufgedruckt werden muss“, findet Oliver Zagorni. Ein Aushang der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) weist im Laden auf den Sachverhalt hin. Zu Irritationen führt dieser aber nicht nur bei den Kunden, sondern auch bei den Mitarbeitern der Ordnungsämter. „Sie kontrollieren zwar, haben aber leider keine Ahnung von der Materie oder von Lagerrichtlinien, weil sie nicht geschult werden“, kann Robert Halter aus eigener Erfahrung berichten. Folglich könne alles nur auf eine grobe Inaugenscheinnahme hinauslaufen, die u.
a. ermittelt, ob das CE-Zeichen auf den Verpackungen und in jedem Verkaufs- und Lagerraum ein TÜV-geprüfter Feuerlöscher steht.
Dass es beim Silvesterfeuerwerk in Berlin „mittler-weile ganz schön krass“ abgeht und die Stadt sich diesbezüglich um den Jahreswechsel „ein bisschen wie ein rechtsfreier Raum“ zeigt, bedauern Fachleute wie Halter und Zagorni. Würde man sie als Privatmenschen zu dem Thema befragen, erhielte man vermutlich von beiden die Antwort, dass Silvesterböller und -raketen in den Straßen der Stadt nichts zu suchen haben. In diesem Jahr schon wegen der vielen Flüchtlinge nicht.
Als Pyrotechniker raten sie dringendst dazu, von illegalen Knallern die Finger zu lassen und bei legalen das Motto „Weniger ist mehr“ zu beherzigen. „Hier, 250 Gramm Nettoexplosivstoffmasse, 50 Sekunden Dauer, 6 Meter Steighöhe, und das für ’nen schlappen Zehner“, bewirbt Oliver Zagorni den Schweizer Supervulkan. Wunderkerzen sind schon für 30 Cent zu haben, etwas teurer kommen Knall-bonbons, bengalische Fackeln und Sets zum Blei-gießen. Knapp 40 Euro muss hingegen auf den Tisch blättern, wer mit dem explosiven Erzengel in der Silvesternacht die bösen Geister des Jahres 2015 vertreiben will.
Der Spandau Feuerwerk-Laden in der Pichelsdorfer Str. 96 ist heute und morgen von 9 bis 20 Uhr und am 31. Dezember von 8 bis 16 Uhr geöffnet.
=ensa/kiezkieker=
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