Wann seine Gäste ankommen, weiß Matthias Nowak noch nicht. Vielleicht heute, vielleicht morgen oder übermorgen, vielleicht aber auch erst nach Weihnachten. Er weiß nur, dass es maximal 200 sein werden, und dass er die Männer, Frauen und Kinder, deren Flucht in Berlin
endete, im 1. Obergeschoss des ehemaligen C&A-Gebäudes an der Karl-Marx-Straße unterbringen wird. Nowak, der als Presse-sprecher beim Malteser Hilfsdienst anfing, bezeichnet sich jetzt selber als „Herbergsvater von 6.000 Gästen“, denn er leitet außer der neuen Neuköllner Flüchtlings-Unterkunft noch weitere in der Stadt. Dass die Malteser auch die Träger-schaft für den einstigen Konsumtempel erhalten und er die Einrichtung führen wird, weiß Matthias Nowak seit gerade mal einer Woche. „Wir improvisieren an vielen Stellen, so wie es überall in Berlin gemacht wird“, umschreibt er seinen Job. Hier
seien die Bedingungen jedoch vergleichsweise entspannt, weil es einerseits ein paar Tag Vorlauf gibt und andererseits von einer mehrjährigen Belegung des Hauses mit Flüchtlingen
auszugehen ist: „Deshalb haben wir Zeit für Projekte.“
Gestern informierte Matthias Nowak (l.) potenzielle ehrenamtliche Helfer, aber auch Beschäftigte kultureller und sozialer Einrichtungen in der Nachbarschaft sowie die Stadträte Falko Liecke (CDU) und Bernd Szczepanski (Grüne) über die Gegenwart und Vorhaben in der Unterkunft. Eine Veranstaltung, die im Vorfeld recht holperig ablief: Erst wurde vom Ansiedlungsmanagement Neukölln, einem Teilprojekt des BIWAQ-Projekts „Unternehmen Neukölln“, das die Entwicklung der Schlüssel-immobilien rund um die Karl-Marx-Straße betreut, mit der Bitte um eine breite Streuung eingeladen. Dann informierte eine Sprecherin vom Bündnis Neukölln über die reichweitenstarke Facebook-Seite der Ehrenamt-Initiative Neukölln hilft, dass es sich lediglich um ein „erstes, kurzes Kennenlernen zwischen einigen Akti-ven aus dem Bündnis Neukölln und der AGFA“ handele. Ein Statement, das von unabhängigen und anderweitigen Aktiven durchaus als Ausladung ver-standen
werden konnte. Oder sollte. Rund zwei Dutzend Leute ignorierten die aber bzw. lasen sie gar nicht, und Matthias Nowak ließ keine Zweifel daran, dass sie herzlich willkommen sind.
„Wir möchten uns mit so vielen Initiativen wie möglich vernetzen und zusammenarbeiten“, erklärt er. Deutsch-kurse, Spiel- und Bastelkreise für Kinder, die Begleitung bei Kiezspazier- und Behördengängen – die Liste dessen, was Flüchtlin-gen das Einleben in der neuen Umgebung er-leichtern soll, ließe sich lange fortsetzen. Koordiniert wird der Einsatz Ehren-amtlicher – ebenso wie Regelbetrieb und Sozial-betreuung – von Malteser-Mitarbeitern, insgesamt 12 sollen im Haus tätig sein. Online werde man die Plattform Volunteer Planner unterstützend nutzen,
zusätzlich aber auch zeitnah eine Facebook-Gruppe einrichten, verspricht Matthias Nowak.
Das Erdgeschoss des ehemaligen C&A-Hauses hat sich bisher kaum verändert: Lediglich ein seitlicher Bereich wurde für die künftige Kleiderkammer und das Hygieneartikel-Depot abgeteilt; außerdem hat hier der Bauleiter des Gebäu-deeigentümers seinen Arbeitsplatz eingerichtet. Die gesamte Etage werde, so Nowak, zur Begegnungs- und Aufenthaltszone umgebaut, mit einer großen Catering-Fläche, für die man einen libanesischen Caterer engagiert habe, der auch auf die kulinarischen Wünsche der Bewohner eingehe: „Da wir wissen, dass WLAN neben Essen das Wichtigste ist, wird hier einen freien Zugang ins Internet geben.“ Für Donnerstag sei der Termin für die Installation des Routers durch einen Telekom-Techniker vereinbart. Zudem können
die Gäste hier rund um die Uhr Wasser, Tee und Kaffee erhalten.
Erheblich verändert hat sich hingegen binnen einer Woche das 1. Obergeschoss der insgesamt 9.200 Quadratmeter messenden Immobilie. Mit Holzwänden wurden hier 29 Zimmer angeordnet, jedes 25 Quadratmeter groß und mit vier Doppelstockbetten eingerichtet. So sei für die Bewohner „den Umständen entsprechend Privatsphäre“ gewährleistet, skizziert Matthias Nowak das Konzept, „aus Einfachem so viel wie möglich zu machen“, das der Malteser Hilfsdienst auch in allen anderen Unterkünften verfolgt. Von „harten Verhandlun-gen“ mit dem Senat wegen der Zimmerstruktur beim Innenausbau, spricht der Einrichtungs-leiter. Mehr Mobiliar als Betten, separate Lampen oder Zimmertüren gehören allerdings nicht zum Standard, nur Vorhänge passen ins Budget. Auch Stromanschlüsse gibt es in den Zimmern nicht, folglich habe man darauf geachtet, dass im Gemeinschaftsbereich der einzelnen Etagen ausreichend Steckdosen zur Verfügung stehen. Nicht minder wichtig, vor allem im Hinblick auf den Bewegungsdrang von Kindern, seien hier Freiflächen. „Das Ergebnis ist besser als alles andere, was ich bisher gesehen habe“, bescheinigt denn auch
Neuköllns Sozialstadtrat Bernd Szczepanski (l., neben Falko Liecke) der neuen Flüchtlingsunterkunft.
Was noch niemand sieht, da es erst in der Pla-nungsphase ist: Mit insgesamt 60 Duschen, verteilt auf die Wohnetagen, sowie Waschmaschinen und Trocknern wird das Haus innerhalb des nächsten Monats aufgerüstet. „Bis die Sanitärräume fertig sind, sind um die Ecke mit dem Stadtbad Neukölln feste Duschzeiten vereinbart“, erklärt Matthias Nowak. Zusätzliche Dixi-Klos im Hof, der perspektivisch für Urban Garde-ning gestaltet werde, ergänzen den Bestand an ehemaligen Kundentoiletten. In der 3. Etage, bisher teilweise Bürotrakt der C&A-Mitarbeiter, werde noch im Januar in Kooperation mit dem Vivantes Klinikum Neukölln eine Arztstation eingerichtet; ferner sollen hier zwei Schulzimmer sowie ein inter-religiöser Gebetsraum entstehen. Das 4. Oberge-schoss bleibe erstmal leer, denkbar sei, es für Bewegungsflächen zu nutzen.
Auf die auch für die Öffentlichkeit größte Veränderung des Gebäudes legte indes der Eigen-tümer des einstigen C&A-Hauses gesteigerten Wert. „Im Erdgeschoss wird auf seinen Wunsch hin ein Café eröffnet“, kündigt Nowak an. So solle einerseits das Haus, das im Kern geschützter Raum für perspektivisch etwa 650 Geflüchtete wird, zur Karl-Marx-Straße hin öffentlich werden. Andererseits aber lasse sich durch den Gastro-nomiebetrieb die Idee realisieren, die Neu-Neuköllner in Beschäftigung zu bringen und zugleich den Kontakt zur Nachbarschaft und somit die Integration zu fördern.
=ensa=
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