Es ist nicht zu übersehen, dass sich auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei etwas tut. Mit dem gerade im Umbau befindlichen Kindl-Zentrum für zeitgenössische Kunst und dem SchwuZ haben sich bereits zwei Einrich-tungen etabliert. Auf der Teilfläche an der Mainzer Straße errichtet die Ziegert Immobilien GmbH derzeit 119 Eigentumswohnungen.
Das Bezirksamt Neukölln und die Stiftung Edith Maryon zur Förderung sozialer Wohn- und Arbeitsstätten luden am vergangenen Mittwoch gemeinsam zu einem Presse-temin, um über die aktuellsten Entwicklungspläne zu informieren. Die Stiftung, be-nannt nach einer engen Mitarbeiterin des Anthroposophen Rudolf Steiner, will in Abstim-mung mit dem Bezirksamt neue Angebote für die Kreativwirtschaft und lokale Ökonomie behutsam entwickeln, um die soziale und kulturelle Infrastruktur auf dem Rollberg mit einer innovativen Mischung aus Arbeiten und Wohnen zu verbessern. Dafür stünden insgesamt über 30.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche und zusätzlich rund 12.000 Quadratmeter Neubaupotenzial auf den bestehenden
Flächen zur Verfügung, wie die Schweizer Stiftung und das Bezirksamt Neukölln erklärten.
Bezirksbürgermeisterin Dr. Franziska Giffey (l.) war die Freude anzusehen, als sie Christoph Langscheid (r.), Geschäftsführer der Stiftung Edith Maryon, und Angelika Drescher (2. v. r.), Geschäftsführerin der Vollgut UG & Co. KG, einen Aluminium-Druck mit dem Blick über die Dächer Neuköllns für das Büro überreichte: „In der Zusammenarbeit mit der Stiftung bietet sich dem Bezirk eine einmalige Chance für eine im wahrsten Sinne nach-haltige Entwicklung des Kindl-Geländes. Es entsteht ein vitales Quartier, geprägt von Kultur, Wohnen, Kunst, Handel und Kreativität. Ich wünsche dem Projekt alles Gute: Auf gute Zusammenarbeit und das hier etwas Neues entstehen kann.“
Tatsächlich ist die gemeinnützige Stiftung aus Basel bei der dauerhaften Absicherung sozialer Wohn- und Arbeitsstätten in Berlin längst keine Unbekannte mehr. Vielmehr setzte sie sich bereits für die alternativen Einrichtungen Schokoladen und ExRota-print ein. Das soziale Engagement der Stiftung ist mit einem wirtschaftskritischen Ansatz verbunden. „Wir betrachten es als unsere Aufgabe, im Dialog mit Eigentümern und Nutzern Grund und Boden aus dem Waren- und Erbstrom herauszulösen, damit dieser der Spekulation entzogen und somit dauerhaft und immer wieder neu für Vorhaben, die der Gesellschaft dienen, verfügbar wird“, erklärte Geschäftsführer Langscheid dazu. Angelika Drescher, Geschäftsführerin von Vollgut Berlin und verantwortliche Ansprechpartnerin der Stiftung in Berlin versprach: „Wir werden Strukturen schaffen, die dauerhaft den Fokus auf den Nutzen legen, erwirtschafteter Profit wird nicht abfließen in die Taschen irgendwelcher Investoren, sondern soll lokal am Ort reinvestiert werden und dem Rollbergquartier zugute kommen.“
Ziel der Arealübernahme sei es, eine der großen Industriebrachen in Neukölln lang-fristig für soziale, kreative und ökologische Nutzungen zur Verfügung zu stellen und zu sichern. Das Gelände solle zu einem attrak-tiven Ort der Arbeit und Begegnung werden und einen Beitrag zu einer guten Nachbarschaft im Rollbergkiez leisten. Die wesentliche Kriterien für die weitere Entwicklung seien Sozialverträglichkeit, Zugänglichkeit und Vielfalt, Umweltverträg-lichkeit, Ressourcen-Schonung und Abfallver-meidung.
Wie das in der Praxis aussehen kann, stellten drei Projektvertreterinnen vor. Alice Grindhammer (2. v. l.) vom Agora Collective im Mittelweg erklärte, dass das Projekt auf dem Vollgut-Gelände seinen zweiten Standort für Kreative, Innovatoren und Nachhaltigkeit mit einem Labor für zirkuläres Wirtschaften eröffnen werde: „Auf dem Kindl-Areal lassen wir kaum mehr genutzte Wiederverwertungs-Kreisläufe wieder aufleben und wollen diese mit kreativen und unkonventionellen Methoden, modernen Technologien und aktuellem Zeitgeist kombinieren.“ Das geplante Labor am Rollberg beinhalte offene Werkstätten für Holz, Metall und Textilien, Atelierräume sowie ein Foodlab und Eventflächen. Mittelfristig sollten Wohnungen hinzukommen, wofür es eine Zusam-menarbeit mit dem Architektenbüro Hütten und Paläste gebe. Für das zweite Projekt mit dem Namen Alltag, das als neuer Typ von Herberge gedacht ist, führte die Architektin Silvia Carpaneto aus: „Unser Projekt Alltag ist für all jene gedacht, die aus unterschiedlichen Gründen eine temporäre Wohnstätte suchen: Menschen in einer Rehabilitationsphase, Gastprofessorinnen, vor Gewalt geflüchtete Mädchen und Frauen, von homophoben Übergriffen betroffene Flüchtlinge aus Wohnheimen, Touristen und andere mehr.“ Mit einem vielfältigen Raumangebot und mit einer breiten sozialen Durchmischung gebe das Projekt den Bewohnern die Gelegenheit, ihre Kompetenzen und Ideen in das Gesamt-projekt und in die Nachbarschaft einzubringen.
Schließlich berichtete Astrid Geiermann, dass ein Berliner Eine-Welt-Zentrum als Teil des Gesamtprojektes Vollgut auf dem ehemaligen Kindl-Areal entstehen werde. „Entwicklungspoli-tik lebt von dem Engagement der Menschen vor Ort. Wir glauben, dass hier ein einzigartiges Stück nachhaltiges und gerechtes Berlin entsteht, zu dem wir gerne beitragen“, sagte die Geschäftsführerin des Berlin Global Village e.V.. „Wir wünschen uns von der beobachtenden Umgebung vor allem Neugierde und Geduld. Veränderung wird nicht auf eine Schlag zu sehen sein“, beschrieb Angelika Drescher die Ausrichtung aller Vollgut-Projekte der Edith Maryon-Stiftung. Und mit Blick auf die verschiedenen Projektideen verkündete sie: „Dies klingt möglicherweise abgehoben und kompliziert, die Initiatoren versprechen jedoch: Effektiv werden wir hier Bodenhaftung und lokalen Mehrwert erzeugen, und wir werden viel Freude dabei haben.“
Ein nächster Schritt für eine gelungenere Ein-bindung des Geländes in die Nachbarschaft: Um das ehemalige Kindl-Areal besser zugänglich zu machen, wird zur Zeit eine große Treppe in der Neckarstraße gebaut. Sie soll am 21. Mai 2016 eröffnet werden, pünktlich zum Tag der Städtebauförderung, wie Rolf Groth, Leiter der Neuköllner Stadtentwicklung, ankündigte, der ebenso wie Clemens Mücke, Leiter der Wirtschaftsförderung, zusammen mit Bezirksbürgermeisterin Giffey zur Pressekon-ferenz gekommen war.
=Christian Kölling=
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