Kaputte Sofas, zertrümmerte Bildschirme sowie alle möglichen und unmöglichen Formen von Sperrmüll und Elektroschrott, die in Straßen und Grünanlagen wild deponiert werden, sind immer wieder ein Ärgernis – nicht nur im dicht besiedelten Neuköllner Norden. Statt zu resignieren und sich mit der Vermüllung abzufinden oder die Streife des zuständigen Ordnungsamtes zu verständigen, das verpflichtet ist, den Sachverhalt zu
klären und den Abtransport des Mülls durch die Berliner Stadtreinigung zu veranlas-sen, kamen Christina Be-nedict (l.) und Nadine Lorenz auf eine andere Idee. „Es werden ja auch viele gute Sachen auf die Straße gestellt“, meinten die Inhaberinnen der Stadtagenten GbR, die auf ökologische und kulturelle Projekte spezialisiert ist. Sie luden deshalb am vergangenen Freitag die Nachbarschaft zur 2. Möbeltauschbörse auf dem Freundschaftsplatz ein. „Wir wol-len die Leute im Richardkiez animieren, in ihre Keller zu schauen und zu entrümpeln. Anders als im vergangenen Jahr können diesmal nicht nur alte Möbelstücke
getauscht, verschenkt oder weggeworfen werden, son-dern auch Kleidung und Spielzeug“, erklärte Benedict.
Die BSR war eigens mit einem großen Sperrmüll-fahrzeug sowie einem Wagen für Elektroschrott angerückt, damit am Ende kein Müll liegen blieb. Für gewöhnlich nimmt der nächstgelegene BSR-Recycling-hof in der Gradestraße den Sperrmüll entgegen. Die
Abgabe ist bis zu 2 Kubikmetern Gerümpel pro Tag kostenlos; bereits für 50 Euro holt die Stadtreinigung bis zu 5 Kubikmeter aus der Wohnung ab. Das sind z. B. zwei Einzelbetten, ein großer Schrank, vier kleine Unterschränke, drei Stühle und 12 Quadratmeter Tep-pich. Oder auch ein Doppelbett, eine Couch, vier Stühle,
ein Sessel, eine Bank und zwei Tische.
„Nicht wegwerfen, sondern reparieren!“, lautet dage-gen die Devise beim Kulturlabor Trial and Error, was auf Deutsch übersetzt „Versuch und Irrtum“ heißt. Ruta Vimba, die im zweimal wöchentlich geöffneten Laden der Initiative in der Mareschstraße arbeitet, sagte: „Die Leute sollten möglichst viele Dinge tauschen und selbst reparieren, statt sie wegzuwerfen. Es geht nicht nur um Möbel, Kleidung und Spielzeug. Wir sind deshalb Mitglied bei der Foodsharing-Plattform. Das ist eine Initiative gegen die Verschwendung von Lebens-mitteln.“ Auf Kreativität und handwerkliches Geschick setzt ebenso das Projekt „Vergiss mein nicht“ der caritas young arts, das eigens aus Prenzlauer Berg nach Neukölln gekommen war. „Aus Sakko mach Rucksack“, schlagen die Aktiven, die sich regelmäßig zum Nähen treffen, in einem Flyer vor und zeigen, wie aus alten Hemden hübsche Kissenbezüge werden.
Am Stand der Initiative Murks? Nein Danke! wurde erklärt, wie unsere Wegwerfgesellschaft zu einer ethischen Kreislaufwirtschaft weiterentwickelt werden kann, in der möglichst alles recycelt wird, um Rohstoffe und Energie zu sparen. Ihr Begründer Stefan Schridde hat ein Gutachten über geplante Obsoleszenz – das ist der Fachbegriff für den eingebauten Verschleiß und das vorzeitige Veralten der Produkte – geschrieben, das am Stand auslag. Ein im wahrsten Sinn des Wortes leuchtendes Beispiel für ein langlebiges Produkt, wie die Unterstützer von Schriddes Initiative es sich wünschen, ist die älteste funktionierende Glühbirne der Welt, die in einer Feuerwehrwache in Livermore bei San Francisco seit Juni 1901 leuchtet und via Webcam beobachtet werden kann.
Ganz praktisch und für Kinder anschaulich machte das Galli Theater Berlin mit dem Stück „Der Müllvollberg“ auf Mülltrennung sowie Müllvermeidung aufmerksam. „Es gibt heute nicht nur Müll. Sondern es gibt auch Sondermüll, Sperrmüll, Atommüll …“, jam-merte der schwarz-braune Müllberg, der früher nur ein kleiner Komposthaufen war. „Ich glaube, ihr Menschen seid alle Plastiktüten. Alles ist bei euch aus Plastik“, hielt er dem orangegekleideten Müllwagenfahrer vor. Doch am Ende kamen Dorothee und Herbie, die auf dem Müllberg regelmäßig spielen, und erklärten den zuschauenden Kindern, wie sie mithelfen
können, damit der Müll-berg wieder schrumpft.
Nicht zu überhören waren schließlich Ralf Dominique – Afroka und die Buschfunk-Trommelschule, deren Beats über den kleinen Platz bis weit in die umlie-genden Straßen drangen. Die Resonanz der Bevöl-kerung hätte allerdings besser sein können. Viel-leicht war der Termin am frühen Freitagnachmittag ungünstig gewählt.
Wer auf die Idee alternativer Wirtschaftskreisläufe neugierig geworden ist, findet aktuell eine gute Gelegenheit, um sich darüber zu informieren: Noch bis morgen findet die Wandelwoche in Berlin und Brandenburg statt, vom 10. bis 13. September schließt sich an der TU Berlin der Kongress SOLIKON – Solidarische Ökonomie & Transformation an.
=Christian Kölling=
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