„Irren ist amtlich“: Beratungsbus auf Jobcenter-Tour in Berlin

balz-beratungsbus jobcenter neukölln4.665 Klagen beim Sozialgericht sind aktuell laut einer bundesweiten Statistik der Arbeitsagentur allein im Bestand des Jobcenters Neukölln registriert. Unglaublich? Wer sich selbst davon überzeugen möchte, klicke den Link der Arbeitsagentur an, rufe den Monat Juni auf, öffne das Registerblatt Überblick 1.1 der erscheinenden Excel-Datei und werfe am Ende der Statistik einen vergleichenden Blick auf die 12 Berliner Jobcenter. Eine ähnlich hohe Klagequote wie beim Jobcenter Neukölln, wo die Klagen im Verhältnis zu den Bedarfsgemeinschaften 11,9 Pro-zent ausmachen, weisen nur Steglitz-Zehlendorf mit 13,5 und Charlottenburg-Wilmersdorf mit 9,9 Prozent auf. Vergleichsweise gering sind hingegen die Quoten der Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg mit 4,9 Prozent, Mitte und Marzahn-Hellersdorf mit je 5,2 Prozent sowie Lichtenberg mit 5,5 Prozent.

Bei so vielen Klagen und Widersprüchen, deren Zahl auch im elften Jahr der 2005 in Kraft getretenen Hartz 4-Reform nicht wirklich sinken will, ist es gut, dass seit einer balz-beratungsbus jobcenter berlin-neuköllnWoche wieder der Beratungsbus des Berliner Arbeitslosenzentrums (BALZ) unterwegs ist. Motto der Tour durch die Bezirke, die mit Unterstützung der Liga der Wohlfahrtsverbände, der Landesarmutskonferenz Berlin und des Deutschen Gewerkschaftsbundes Berlin-Bran-denburg stattfindet, ist „Irren ist amtlich – Be-ratung kann helfen!“. Gestern traf der Bus vor dem Neuköllner Jobcenter ein. Auch heute ist die mobile Beratungsstelle, wo Fachanwälte und Sozialarbeiter kostenlos Fragen zum Arbeitslosengeld II beantworten, Bescheide prüfen und Rechtsberatung bieten, dort wieder anzutreffen.

„Die Übernahme der Mietkosten durch die Jobcenter und die Anrechnung der Einkommen bei Aufstockern sind Dauerbrenner“, berichtet Rechtsanwältin Antje Krüger über ihre bisherige ehrenamtliche Beratungsarbeit am Bus. Ihrem persönlichen Eindruck nach komme es außerdem oft zu Problemen mit den Jobvermittlern, weil das Prinzip des Förderns und Forderns unsinnig sei. Peter Beyer, der seit neun Jahren ehrenamtlich den Beratungsbus fährt und im KIEZ-Treff in Marzahn-Hellersdorf mitarbeitet, ist ebenso nach Neukölln gekommen. Seit seiner Kündigung als Berufskraftfahrer vor mehr als zehn Jahren ist er in der gewerkschaftlichen Erwerbslosenarbeit aktiv. Er kennt deshalb viele Fälle, in denen jobcenter neuköllnversucht wurde, Jobcenter-Kunden in Fortbil-dungsmaßnahmen mit zweifelhaftem Wert abzuschieben.

„In Steglitz war Donnerstag und Freitag aber mehr los“, ruft eine zweite Rechtsanwältin, die ebenso wie ihre Kollegin und der ehemalige Berufskraftfahrer ehrenamtlich im Team des Beratungsbusses arbeitet. Schlangestehen muss an diesem Montagvormittag niemand vor den beiden Beratungstischen. Schon um kurz vor 8 war Jobcenter-Geschäftsführer Jörg-Jens Erbe zum Beratungsbus gekommen, um „Guten Morgen“ zu sagen. „Er hat uns um ein Feedback gebeten und angeboten, dass wir ihm die Härtefälle vortragen können“, berichtet Rechtsanwältin Krüger. Die sechs Wochen dauernde Aktion vor den Berliner Jobcentern soll allerdings nicht nur in konkreten Einzelfällen praktisch helfen, sondern auch eine Werbung für die Arbeit unabhängiger Beratungsstellen sein, die das ganze Jahr über kostenlose Beratung zum Arbeitslosengeld II geben. Allgemeine soziale Beratung bieten in Neukölln der Caritasverband, das Diakoniewerk Simeon und das Nachbarschaftsheim Neukölln an. Nicht weit vom Jobcenter entfernt, in der Boddin-straße, beratungsstelle mit hilfe_neuköllnist das Büro der mitHilfe GmbH, die speziell in existenziellen Notlagen zur Vermei-dung oder Behebung von Wohnungsnot berät und ebenfalls zum Bündnis der Beratungsein-richtungen gehört.

Auch wenn das Jobcenter Neukölln in seinem Leitbild verspricht „Wir erreichen mit lösungs-orientierter und individueller Beratung, Betreuung und Unterstützung die berufliche Integration unserer Kundinnen und Kunden“, scheint sich berlinweit die Erkenntnis durchzusetzen, dass Ratsuchende oftmals Unterstützung bei Streitigkeiten mit dem Jobcenter benötigen. Die Jobcenter allein sind mit ihren Aufgaben überfordert. Ergänzend aber nicht als Konkurrenz zu unabhängigen Beratungsstellen und anwaltlicher Beratung haben deshalb mehrere Berliner Bezirke unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, um die Flut von Widersprüchen und Klagen gegen die Bescheide der Jobcenter in den Griff zubekommen. Das Jobcenter Tempelhof-Schöneberg hat innerhalb seiner Strukturen eine verwaltungsinterne Clearingstelle eingerichtet. Im Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg gibt es eine ehrenamtliche und unabhängige Ombudsstelle; Pankow und – durch BVV-Beschluss vom 15. Juli – Steglitz-Zehlendorf wollen ebenfalls Ombuds-stellen installieren. In Spandau, wo es weder eine Clearing- noch Ombudsstelle gibt, hat sich seit August 2013 immerhin eine kooperierende Zusammenarbeit zwischen Sozialberatungsstellen und dem Jobcenter entwickelt.

Der Beratungsbus steht noch heute bis 13 Uhr vor dem Jobcenter Neukölln in der Mainzer Straße 27. Die weiteren Stationen seiner Jobcenter-Tour durch Berlins Bezirke sind hier veröffentlicht.

=Christian Kölling=

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