Wenn Politiker in die Öffentlichkeit gehen, um Bürgernähe zu beweisen und für ihre Arbeit zu werben, ist nie so ganz genau zu unter-scheiden, ob die Sache an sich oder der Wunsch nach Selbstdarstellung ihr Motiv dafür ist. Als im Februar 2013 Falko Liecke höchstpersönlich mit dem Begrüßungspaket für Neugeborene zum ersten Hausbesuch bei den jungen Eltern erschien, um medien-wirksam auf die Neuköllner Präventions-strategie hinzuweisen, blieb Kritik an der Aktion aus. Bei der jüngsten Öffentlich-keitskampagne des Stadtrats für Jugend und Gesundheit (CDU) platzte nun aber dem SPD-Bezirksverordneten Marko Preuß der sprichwörtliche Kragen. Stein des Anstoßes ist ein Plakat auf einigen U-Bahnhöfen der Linie 7 im Süden des Bezirkes
sowie auf dem Bahnhof Schönleinstraße, wo zwischen Hermannplatz und Kottbusser Tor viele Neuköllner unterwegs sind:
Überlebensgroß ist Falko Liecke am Rand des Plakates voller bonbonfarbener Kullerchen abge-bildet. In der rechten Hand hält er einen Tablet-PC, während er mit der Linken einladend auf die Familien-App hinweist, die neben Begrüßungs-paket, Familiengutschein und Kinderschutzteam eines der vier Produkte der Präven-tionsstrategie „Gesundes Neukölln“ ist.
„U-Bahn-Werbung für den Stadtrat?“, betitelte Preuß seine Mündliche Anfrage, die bei der letzten BVV-Sitzung vor der Sommerpause behandelt wurde, und forderte mit der Drucksache 1356/XIX eingehende Auskunft zum Plakat: „Ich frage das Bezirksamt: Was kostete die Plakatwerbung der Abteilung Jugend und Gesundheit in der U-Bahn und aus welchen Mitteln wurde sie bezahlt?“. Bezirksstadtrat Liecke, dem im Jahr 2015 insgesamt 285.000 Euro aus Mitteln der Bundesinitiative Frühe Hilfen für Projekte zur Verfügung stehen, gab in seiner Beantwortung ein Netto-Auftragsvolu-men von 10.630 Euro für die in Rede stehende Werbekampagne an. Die Finan-zierung sei ausschließlich aus dem Sachmitteltitel der Bundesinitiative Frühe Hilfen erfolgt; die Gestaltung des Hintergleis-plakates habe 630 Euro gekostet.
Statt es bei einer knappen Antwort zu belassen, nutzte der Gesundheitsstadtrat und stellvertre-tende Bezirksbürgermeister die zweite Frage des SPD-Verordneten Marko Preuß nach Sinn und erwartetem Nutzen der Plakat-Aktion für eine weitschweifige Erklärung, die bei der SPD-Fraktion im BVV-Saal zu Unmutsäußerungen und Heiterkeit führte. „Zur Verdeut-lichung der Relevanz von Öffentlichkeitsarbeit verweise ich auf Seite 6 der Berliner Rahmenkonzeption und Fördergrundsätze zur Umsetzung der Verwaltungsverein-barung“, trug Liecke in bestem Verwaltungsdeutsch aus seiner dreieinhalb seitigen Antwort vor. „War das die Antwort auf die Frage?“, höhnte – begleitet von Gelächter – ein Zwischenrufer aus den Bänken der SPD. „Sie stellen Fragen. Jetzt kriegen Sie auch Antworten“, konterte Liecke, als ob beim BVV-Plenum ein Klartext-Wettbewerb zu gewinnen wäre.
„Neuköllner Kinder weisen über beinahe alle Bezirksregionen sowie quer durch alle sozialen Schichten im Berliner Vergleich schlechte gesundheitliche Werte zum Zeitpunkt der Einschulung auf“, mahnte der Gesundheitsstadt-rat. Der Schwerpunkt der Frühen Hilfen im Bezirk liege daher auf universeller Prävention, die auf einer wertschätzenden und Kompetenzen erweiternde Ansprache der Eltern beruhe. Dass die Neukölln-App deshalb genau das richtige Mittel sei, ist für den Stadtrat evident. „Stolz wie Bolle“ sei er auf sie, erklärte der CDU-Politiker bereits in einem Interview mit TV Berlin. Experten wüssten, dass die App, die über 600 Angebote und Hinweise für junge Eltern enthalte, mit Kosten von nur 68.000 Euro gemessen an ihrer Qualität günstig sei. Um den Nutzerkreis zu erweitern, würden Angebote in Türkisch und insbesondere auch in Englisch in Erwägung gezogen. Beim 13. eGovernment-Wettbewerb 2014, an dem Verwaltungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beteiligt waren, belegte die Neukölln-App den 2. Platz in der Kategorie Innovativstes eGovernment-Projekt.
Von seiner Kampagne überzeugt, bot der Bezirksstadtrat schließlich – sofern seitens der BVV der Wunsch bestehe – eine Prüfung an, ob zusätzliche U-Bahnhöfe im Norden verstärkt mit den Hintergleisplakaten belegt werden könnten. Gespräche mit der Werbeagentur „hinsichtlich einer Ausweitung der Werbekampagne stehen derzeit noch aus, sind aber geplant“, teilte Falko Liecke vorgestern auf Anfrage mit.
=Christian Kölling=
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