Rixdorfer Reigen erzählt Historie mit Mode und „ganz normalen Leuten jeden Alters und jeder Statur“

marion czyzykowski_mc-design neuköllnDie Wörter Muße oder Langeweile kramt Marion Czyzykowski nur selten bis nie aus ihrem Wortschatz. Muße ist bestenfalls etwas, was im Urlaub stattfinden kann. Im Alltag der Schneidermeisterin ist dafür zwischen der 32 Stunden-Stelle an der Werkschule Löwenherz, der Arbeit für ihr Label MC-Design und den Nähkursen, die sie an der Volkshochschule Schöneberg und in ihrem Atelier gibt, kein Platz: „Die historische Modenschau ‚Rixdorfer Reigen‘ ist für mich deshalb eine zeitliche, aber keine handwerk-liche Herausforderung.“ Früher, begründet sie, habe sie Roben und Kleider restauriert.

Im Organisieren ist Marion Czyzykowski ebenfalls geübt. Martina Rosenthal-Schöne, Chefin des Fuhrunternehmens Gustav Schöne am Richardplatz, sprach also genau die Richtige an, um sie für ihre Idee zu gewinnen. Damals, 2010, hatte die historische historische modenschau rixdorfer reigen_neuköllnModenschau beim Festival 48 Stunden Neukölln Pre-miere. „Sie war als besondere Veranstaltung für den 650. Geburtstag von Neukölln geplant, dass etwas Regelmäßiges daraus wird, hätte ich nie gedacht“, erinnert sich Marion Czyzykowski. Wahrscheinlich wäre der Plan auch aufgegangen, wenn nicht Martina Rosenthal-Schöne davon überzeugt gewesen wäre, dass eine solche textile Zeitreise perfekt in das Rah-menprogramm kutschen-schöne_neuköllndes Poprá-ci-Strohballenrollens auf ih-rem Hof passen würde. Dorthin, wo Kunsthandwerk und kulinarische Angebote zum Stöbern und Verweilen in historischem Ambiente einladen und es „nicht so auf-geregt historische herrnhuter trachten_neuköllnwie vor dem Tor auf dem Richardplatz“ zugeht.

In diesem Jahr findet der Rixdorfer Reigen zum fünften Mal statt. „Er hat sich etabliert, und es gibt sogar Publikum, das extra wegen der Modenschau kommt und sich für das Strohballenrollen überhaupt nicht interessiert“, berichtet Marion Czyzykowski. Bei der Choreographie und Dramaturgie wird sie auf Bewährtes zurückgreifen. Schließlich müsse man nicht jedes Mal bei der Inszenierung das Rad neu erfinden, zumal marion czyzykowski_mc-design_neuköllnes „ein Höllenaufwand ist, Histo-rie mit einer Modenschau zu erzählen“. Die gesamte Logistik wird der 62-Jährigen in den nächsten Wochen noch genug Arbeit machen. Gerade sucht sie Frauen, Männer und Kinder, die Lust aufs Verkleiden haben und beim Rixdorfer Reigen Outfits auf dem Laufsteg präsentieren wollen, marion czyzykowski_mc-design neukoellndie zur Jahrhundert-wende das Bild in den Straßen prägten. Gesucht werde nicht Neuköllns Next Topmodel, betont sie, sondern „ganz normale Leute jeden Alters und jeder Statur“. Wenn sich 10 melden würden, die das Experiment einer kollektiven Verwandlung mitma-chen wollen, wäre das Minimum erreicht: „Wenn es doppelt so viele wären, wäre es auch super. Je mehr, desto besser.“ mc-berlin kreation_neuköllnDas vergrößere den Spaß und reduziere die Hektik beim Umziehen.

Die Kostüme wurden größtenteils eigens für die Moden-schau handgenäht. „Ich guck mir an, wer mitmachen will, und dann werden sie zugeordnet“, erklärt Marion Czyzy-kowski das Prozedere, zu dem auch gehört, dass „nach-genäht werden muss, wenn etwas nicht passt.“ Acces-soires für ein authentisches Rundum-Styling sind entweder bereits im Fundus oder werden geliehen. Dass die Schnei-dermeisterin mit einem Modedesign-Zusatzstudium nicht nur atelier mc-design neuköllnalte Stoffe sammelt, son-dern sie außerdem mit Kom-petenz und Kreativität zu verarbeiten weiß, kommt dem Rixdorfer Reigen ebenfalls zugute.

Aber auch die Kundinnen ihres Labels MC-Design wissen Marion Czyzykowskis Fertigkeiten zu schätzen und halten der Neuköllnerin oft seit vielen Jahren die Treue. „Ich lebe von Frauen, die keine normale Größe haben, sich in Klamotten von der Stange nicht wohlfühlen oder sich ab und zu ein maßgefertigtes Einzelteil gönnen“, sagt sie. Werbung braucht die stolze „vierfache Oma“ nicht, weil auf die Stammkundinnen und deren Mundpropaganda Verlass ist. „Viele Aufträge entstehen auf Zuruf à la ‚Ich brauch was Neues!‘. Dann kann ich gleich loslegen, weil ich die Maße schon hab und weiß, welchen Look und welche Farben die jeweilige Frau liebt.“ Am Aufwändigsten sei heutzutage die Stoffsuche, weil die Qualität der spulen_atelier mc-design berlin-neuköllnStoffe per se sehr nachgelassen habe. Erschwerend komme hinzu, dass Berlin schlecht bestückt sei, was hochwertige Stoffe betrifft: „Glücklicherweise hab ich einen guten Zulieferer mit einem Onlineshop, mit dem ich schon lange zusammenarbeite.“

Dass sich diesbezüglich an der lokalen Situation etwas ändert, bezweifelt die Neuköllnerin, die 30 ihrer bisher 37 Jahre im Bezirk an der Sonnenallee verbrachte und seit sieben Jahren im Böhmischen Dorf über ihrem Atelier wohnt. Trotz der aufbrandenden Do It Yourself-Welle und der gestiegenen Nachfrage nach Stoffen. „Viele Leute“, so Czyzykowski, „entdecken gerade den Spaß am Selbermachen, was immerhin dazu führt, dass meine Näh-Kurse meist ruckzuck ausgebucht sind.“ Das war zwei Jahrzehnte lang entschieden anders. Inzwischen bietet sie an der VHS Schöneberg sogar einen Näh-Workshop atelier mc-design neukoellnspeziell für Männer an, es sei Berlins einziger. Mit großem Fleiß und beeindruckender Wissbegierde, lobt sie, näherten sich die Herren aller Altersgruppen dem Umgang mit Nähmaschine, Zickzack-schere, Schneiderkreide, Schnittmusterbö-gen und Stoffen: „Manche wollen nur lernen, wie man Klamotten ändert oder ausbes-sert, andere aber selber Kleidungsstücke nähen.“ Im letzten Kurs habe einer sogar eine Transporthülle für sein Segelflugzeug schneidern wollen – und das auch geschafft.

Marion Czyzykowskis Ambitionen sind bodenständiger. Beim Rixdorfer Reigen im nächsten Jahr würde sie „unheimlich gerne mal nur alte Unter- und Nachtwäsche und Bademode zeigen.“ Und vor der diesjährigen historischen Modenschau – bei der hoffentlich wieder die 20, vor fünf Jahren angeschafften Regenschirme ungenutzt bleiben – wolle sie noch Urlaub machen.

Wer Lust hat, beim Rixdorfer Reigen mitzumachen, meldet sich am besten mit Angabe der Kleidergröße telefonisch (030 – 61 40 30 53) oder per E-Mail (m_czy[at]yahoo.de) bei Marion Czyzykowski.
Die etwa 45-minütige historische Modenschau ist am 12. September zwi-schen 15 und 17 Uhr; am 11. September findet um 17 Uhr eine General-probe statt.

Gesucht wird auch noch jemand mit Entertainer-Qualitäten, der das Pub-likum im Kutschenhof musizierend oder rezitierend unterhalten will.

=ensa=

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