Wenn die Planungen vom Spätsommer 2011 realisiert worden wären, wäre schon seit drei Jahren ein
Zeltplatz auf dem stillge-legten Teil des St. Thomas Friedhofs. Wurden sie aber nicht. Deshalb ist die Situa- tion auf dem Areal zwischen Hermannstraße und Tempel- hofer Feld unverändert: Dea- ler aus der U8, Wild-Camper und -Sperrmüllentsorger, Schüler der benachbarten Carl-Legien-Schule, Hundebesitzer und ihre Vierbeiner – jeder weiß den ehemaligen Friedhof nach wie vor aus unterschiedlichsten Gründen zu schätzen. Was sich jedoch verändert hat, ist, dass die Bäume und Büsche gewachsen sind und das Gelände weitere vier Jahre Zeit zum Verwildern hatte. Nun aber soll ein neuer Anlauf genommen werden, letzteren Prozess zu stoppen. Noch in diesem Jahr wird der Verkauf der als Ausgleich für den A100-Bau ausgewiesenen Fläche vom momen- tanen Besitzer, dem Evangelischen Friedhofsverband Berlin-Stadtmitte, an den Bund über die Bühne gehen; für das nächste Frühjahr ist der Beginn der Umgestaltung zu einer öffentlichen naturnahen Grün
fläche geplant.
Was das bedeutet, wurde in der letzten Woche bei einem Informationsabend vorgestellt, zu dem die L.I.S.T. GmbH als Beauftragte für das vom Senat geplante Beteiligungsverfahren eingeladen hatte. Ein solches Beteiligungsverfahren sei allein deshalb sinnvoll, bei das Gelände schon genutzt wird. Deshalb würden nun die verschiedenen Nutzungsinteressen ermittelt werden, erklärte eine Mitarbeiterin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung den etwa 20 interessierten Anwohnern. Vor diesem Tagesordnungspunkt wurde aber zunächst Input zum Gelände, seinen Besonderheiten und der geplanten Vorgehensweise verteilt.
Beisetzungen würden auf dem 1872 eingeweih- ten St. Thomas-Friedhof schon seit über 40 Jahren nicht mehr durchgeführt werden, versi-cherte Andreas Wiesner vom Stadtplanungsamt Neukölln. Die vorgeschriebene 30-jährige Ruhe- und Pietätsfrist sei somit mehr als eingehalten und der sechs Hektar große Friedhof ohnehin seit 2007 geschlossen und geräumt. Dabei dürfte es in Neukölln nicht bleiben. „Etwa 70 Hektar Friedhof im Bezirk werden durch den enormen Rückgang des Bedarfs an Beisetzungsflächen nicht mehr benötigt“, kalkuliert Wiesner.
Dass ehemalige Gräberfelder nicht nur aus viel Grün, sondern aus mehr bestehen, ist auch bei der Planung für die Zukunft des St. Thomas-Friedhofs zu berück-sichtigen. Die Platanenallee, die sich fast über die halbe Länge des Areals zieht, steht unter Denkmal-schutz. Selbiges gilt für die 1898 gezogene Klinker-
mauer entlang der Her- mannstraße. Und aus identischem Grund er- halten bleiben müssen auch die Anfang der 1960er Jahre errichteten Signal- masten der Befeuerungsanlage, die einst den Piloten den Weg zur Süd-Landebahn des Flughafens Tempel- hof wiesen. „Die geschichtliche Dimension wird also auch künftig deutlich sein“, avisiert Jens Henningsen. Der Landschaftsarchitekt, dessen Büro schon mit der gartendenkmalpflegerischen Umgestaltung der Hufeisensiedlung beauftragt war, ist sich des Spagats bewusst, der bei seinem aktuellen Projekt zu absolvieren ist. „Wir werden nicht alles plattmachen und von vorne anfangen, sondern die Fläche
belassen und ihre Potenziale nutzen“, reagiert er auf das im Raum schwebende Misstrauen der Anwesenden. Die meisten von ihnen sind Hundebesitzer aus dem Kiez und täglich auf dem ehemaligen Friedhof. Geschürt wurde ihr Argwohn besonders durch Bäume, die kürzlich rot gekennzeichnet wurden. Daraus solle bloß niemand schließen, dass die gefällt werden, versuchte Henning-
sen die Gemüter zu beruhi- gen. Die roten Punkte, so der Landschaftsarchitekt, habe ein Vermesser ge- macht: „Es ist schon däm- lich von ihm gewesen, sie so zu markieren.“
Hoffnungen, dass der naturnahen Grünfläche alle Bäume erhalten bleiben, sollte sich aber trotzdem niemand machen. Derzeit wird ein Gutachten erstellt, welche unrettbar geschädigt sind und mittel- oder langfristig zur Gefahr werden könnten. Ansonsten solle das Gelände zwar, wie auch eine Mitarbeiterin des Senats bestätigt, „nicht großartig strukturiert“ werden, doch es wird „gesteuert entwickelt“. Konkret stellt Jens Henningsen sich das so vor, dass man nicht heimische Pflanzen reduziert und heimische fördert. dass vorhandene Trampelpfade zurückgebaut, Wege angelegt werden und alles offener gestaltet wird. Zudem sollen die Rasenflächen zu artenreichen Wiesen gedeihen. „Da sich bereits durch die Nichtpflege einiges entwickelt hat“, meint er, „muss außer einer regelmäßigen Mahd gar nicht viel getan werden.“ Der Vorschlag eines Anwohners, die von Ziegen oder Schafen übernehmen zu lassen, führte zu der Reaktion, dass auch das „theoretisch möglich“ wäre. Zur Fauna, deren Bestand hier gefördert werden soll, scheinen die Wiederkäuer also nicht wirklich zu gehören. Fledermäuse, Füchse, Habichte und Insekten zählt Henningsen stattdessen auf. Überhaupt werde bei der
Gestaltung „auf Basis des Naturschutzgesetzes“ gehandelt, heißt es seitens der Senatsverwaltung.
„Der primäre Gewinn der Fläche soll sein, dass sie nicht nur informell von einzigen nutzbar ist, sondern vom Kiez genutzt wird“, formuliert Susanne Walz vom L.I.S.T.-Team das Ziel der Umgestaltung. „Das ist auch aus Sicht des Quartiersmanagements Schiller-promenade wichtig“, unterstützt Quartiersmanager Gunnar Zerowsky, bevor er einen weiteren Aspekt ergänzt, der bislang nicht erwähnt wurde: Die Trampelpfade, die beidseitig der Carl-Legien-Schule zum Grünen Weg führen, weil „viele Anwohner das Gelände bereits als Nord-Süd-Abkürzung nutzen“,
sollten deshalb zu angelegten Wegen ausgebaut werden.
Während dieser Punkt unstrittig ist, offenbart sich das zentrale Konfliktpotenzial sofort. Ob „naturnahe Grün- fläche“ heiße, dass Hunde dann an die Leine müssen, will eine Hundebesitzerin wissen, die den alten Friedhof seit Jahren den Auslaufgebieten auf dem benachbarten Tempelhofer Feld vorzieht. „Teil- weise bestimmt“, zieht sich Jens Henningsen den Unmut derer zu, die auf die Beibehaltung ihres Gewohnheitsrechts pochen. Und die durch eben das vielen Nicht-Hundehaltern bislang den Spaß nahmen, sich auf dem oft vor freilaufenden Hunden wimmelnden, ehemaligen Friedhof aufzuhalten. „Es ist spannend, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten, darum zu ringen und sie auszuhandeln“, wirbt der Landschaftsarchitekt um Kooperations- bereitschaft. Wenn man den Raum öffne, werde der langweilig, hält eine Frau dem entgegen. „So, wie er jetzt ist, ist er der schönste Ort weit und breit“, findet sie.
Im Herbst werden die Info-Veranstaltungen des L.I.S.T.-Teams im Rahmen des Beteiligungsverfahrens fortgesetzt::
17. September, 17.30 – 19 Uhr: Rundgang „Wege, Zugänge, Sicherheit“ (Treffpunkt: Hermannstraße/Ecke Grüner Weg)
24. September, 18 – 21 Uhr: Ideenworkshop für die Gestaltung und Nutzung (Ort: Carl-Legien-Schule, Leinestraße 37)
14. November, 14 – 15.30 Uhr: Rundgang „Das verändert sich!“ (Treffpunkt: Hermannstraße/Ecke Grüner Weg)
17. November, 18 – 21 Uhr: Vorstellung der Planung und des Zeitplans (Ort: Carl-Legien-Schule, Leinestraße 37)
=ensa=
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Ist es sinnvoll, direkt neben dem Tempelhofer Feld, das seinerseits direkt an die Hasenheide grenzt, noch eine Naherholungsgrünfläche zu bauen? In jetzigem Zustand ist das Areal sicher kein Kleinod, aber wäre es als ausgewiesenes Bauland für Mietwohnungen nicht besser genutzt?
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