„Sie ist mein Hörrohr und mein Notizbuch“, sagt Prof. Karol Kubicki, der Frau an seiner rechten Seite einen liebevollen Blick zuwerfend. Das Paar, das letzten Freitag ins Museum Neukölln gekommen war, um eine Schenkung perfekt zu machen, ist ein eingespieltes Team. Schach spielen jedoch beide nicht. Skat ja, aber Schach
habe ihn nie gereizt, verrät der fast 89-Jäh- rige. Außerdem wisse er auch gar nicht, wo die Figuren geblieben sind. „Deshalb stand das Ding bei uns nur rum“, überschlägt Petra Kubicki pragmatisch die Ausgangssituation, die dazu führte, dass das Museum Neukölln nun im Besitz des Schachbrettes ist, das der Maler Stanislaw Kubicki vor über acht Jahrzehnten für manche Partie mit seinem Freund Erich Mühsam benutzte.
Stanislaw Kubicki war 1927 mit seiner Frau Margarete und den beiden Kindern in die Hufeisensiedlung im Neuköllner Ortsteil Britz gezogen, führte Museumsleiter Dr. Udo Gößwald (l.) in die Biographie von Karol Kubickis Vater ein, die auch auf einem Display in der Ausstellung nachzulesen ist. Das Haus in der Onkel-Bräsig-Straße 46 wurde schnell zum regen Treffpunkt Oppositioneller. „Damals entstand die Siedlung gerade und meine Eltern konnten sich ein Haus aussuchen“, erzählt der emeritierte Neurologie-Professor. Sie hätten sich – aus gutem Grund – für eines ohne direkten Gegenüber entschieden. Dass sich die Eltern, die sich bei Studium an der Königlichen Kunstschule Berlin kennen gelernt, 1916 geheiratet hatten und vom Sohn als „Edel-Anarchisten“ beschrieben werden, überhaupt ein Haus leisten konnten, sei jedoch nicht dem Vater zu verdanken gewesen: „Er konnte mit Geld nicht umgehen, Muttern verdiente als verbeamtete Lehrerin unseren Lebensunterhalt.“ Überhaupt seien es „sehr eigentüm- liche häusliche Verhältnisse“ gewesen. Weil der kleine Karol, dessen Nüchternheit dem „leidenschaftlichen Re- voluzzer“ Stanislaw Kubicki gänzlich fremd war und ihm das Kind „auf die Nerven ging, haben sie mich schon im Alter von fünf Jahren in die Schule geschickt“. Es war zugleich die Zeit, in der das begann, was Karol Kubicki mit „sehr lebhaften
Erinnerungen“ beschreibt. 1933, erzählt er, damals siebenjährig, habe die SA auch ihr Haus durch-sucht, zudem waren „Freunde wie Erich Mühsam verhaftet worden, und Vatern sah keine Zukunft mehr in Berlin.“
Im folgenden Jahr blieb Margarete Kubicka mit den Kindern allein zurück, weil Stanislaw Kubicki nach Polen flüchtete: „Dass er weg war, hat keinen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, weil ich dann später oft die Ferien bei ihm verbracht habe.“ Sein Vater habe bei Posen schnell Freunde gefunden, die Landgüter besaßen, auf denen er unterkommen konnte. „Ohne ihn hätten sich die Leute abends wahnsinnig gelangweilt“, vermutet der Sohn. „Fernsehen gab es ja noch nicht, aber er war sehr unterhaltsam.“ Im Gegenzug konnte Kubicki bei freier Kost und Logis leben. „Muttern war aber zunächst furchtbar einsam, ihr fehlte ohne Vatern die geistige Betätigung.“ 1935 habe sie, als der ebenfalls mit Kubickis befreundete, jüdische Dadaist Raoul Hausmann für mehrere Monate im Haus in der Hufeisensiedlung Unter-schlupf fand, die Mittwochsgesellschaft: „Ab 1938 saß ich oft dabei, wenn ihr Kreis von etwa acht Leuten engagiert diskutierte.“ Vorbei war es jedoch mit den Ferienreisen zum Vater, denn Polen war ein Jahr vor Ausbruch des 2. Weltkriegs
bereits besetzt.
Stanislaw Kubicki hatte sich der nationalen polnischen Widerstandsbewegung ange- schlossen. Im Juni 1941 wurde er schließ- lich von der Gestapo verhaftet und im Pawiak-Gefängnis in Warschau inhaftiert. 1942 wurde er ermordet, woran auch ein Stolperstein erinnert, der vor 1 1/2 Jahren vor dem ehemaligen Wohnhaus in der Hufeisensiedlung verlegt wurde. „Dass er hingerichtet wurde, wollte Muttern erst nicht glauben. Für sie war das, als würde ihr der Lebensnerv gezogen werden“, weiß Karol Kubicki noch heute nur zu gut.
Er selber erlebte das Kriegsende 1945 „in russischer Gefangenschaft, ausgerechnet in Posen.“ Aber schon im September 1945 sei er wieder nach Hause geschickt worden. Nur zwei Monate später organi-sierte Karol Kubicki die erste Ausstellung moderner Kunst: In der Ganghoferstraße, wo heute das Kin- derKünsteZentrum ist und damals die Neuköllner Stadtbibliothek war, präsentierte er Werke seiner Eltern. „Vatern war mit seinem einfach idealen Bild ‚Ziehender Storch‘ mit seiner Kunst ans Ende gelangt, danach wandte er sich dem Schreiben zu.“ Margarete Kubicka, die einst einzige Frau in der Künstlergruppe Bunt war, habe jedoch weiter gemalt. 93 Jahre wurde sie alt und erlebte somit noch weite Strecken der Karriere ihres Sohnes. Den Grundstein dazu legte er als Medizinstudent selber, als er sich „1948 erlaubte, eine Universität zu gründen“. Seitdem ist die Matrikel-Nummer 1 der FU Berlin auf ewig die des späteren Neurologie-Professors und renommierten Schlafforschers aus der Neuköllner Hufeisensiedlung.
Die Dauerausstellung des Museums Neukölln, das in diesem Jahr bereits 10.000 Besucher begrüßte, heißt aber trotz der Schenkung nicht nur weiterhin „99 x Neukölln“, sondern sie besteht auch nach wie vor aus 99 Exponaten. „Eine Bronze, die dem Ringer Werner Seelenbinder 1933 als Siegerpreis für die Deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht überreicht und uns nur als Leihgabe vom Sportmuseum zur Verfügung gestellt worden war, hinterließ eine Vakanz“, erläutert Museumsleiter Gößwald. Diese konnte nun durch das Schachbrett eines Mannes ausgefüllt werden, der von den Nazis verfolgt wurde, im Widerstand aktiv und ein hochbegabter Künstler war.
Das Museum Neukölln ist von Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
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