Stefan Evers ist stadtentwicklungspolitischer Sprecher der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus und, nach eigener Einschätzung, Berufsoptimist. Dass er auch gute Spielverderber-Qualitäten hat, bewies der Wilmersdorfer Christdemokrat Donnerstagabend bei einer von Christopher Förster moderierten Podiums-diskussion, zu der der Britzer Ortsverband der CDU Neukölln ins Estrel eingeladen hatte: Mit Evers als Bösem und Ekkehard Streletzki, Besitzer des Estrel Hotels, sowie Neuköllns stellvertretendem Bezirksbür-germeister Falko Liecke als Kontrahenten.
So schien es zumindest geplant. Stefan Evers habe sich vor drei Monaten kritisch zum seit geraumer Zeit bekannten Vorhaben von Streletzki geäußert, sein Hotel durch den Bau des Estrel Tower zu erweitern, warfen die Britzer in ihrer Veranstaltungs-ankündigung dem Wilmersdorfer vor. Der sei überhaupt der Meinung, dass „sich Hochhausbauten am Alexanderplatz und in der City-West konzentrieren“ sollten. Und der Kudamm-Blog zitierte den CDU-Stadtent-wicklungsexperten gar mit der Aussage, dass die Neuköllner Sonnenallee städte-baulich der letzte Punkt sei, wo ein Wol- kenkratzer hinpasse.
Das sieht Falko Liecke natürlich anders. Schon vor dem Bau des 1994 eröffneten 1.125 Zimmer-Hotels, erinnerte er, hätten viele Streletzki wegen des Standorts direkt neben einem Schrottplatz „für irre erklärt“. Doch die Skeptiker verstummten bald, und das Estrel wurde zum großen Wirtschafts-faktor für Neukölln. „Wir müssen Unternehmern Raum für positive Entwicklungen geben“, ist Lieckes (r.) Credo, da eben die auch dem Bezirk zugute kommen, der aktuell 75 Prozent seiner Ausgabe in Sozialleistungen investiert. Daran, dass der Tower die Strahlkraft des Estrel noch
erhöht, hat der CDU-Kreisvorsitzende keine Zweifel. Der Turm werde zum Anker Berlins und biete, „wenn BER jemals ans Netz geht, wunderbare Möglichkeiten für Neukölln“, prognostiziert der, der dann – ohne Wenn und Aber – gerne Bezirksbürgermeister sein will. „Das Positive an der Schließung des Flughafens Tempelhof ist, dass nun Platz für ein Hochhaus ist“, findet er.
Höher als „nur“ 65 Meter wäre nämlich schon das Estrel Hotel geworden, wenn es nach Ekkehard Streletzki (r.) gegangen wäre. Nicht 1.100, sondern 1.400 Zimmer, sagt er, habe er anfangs geplant, „aber der Flugbetrieb in Tempelhof hat die Höhe beschränkt“. Dieses Regulativ ist nun Vergan-genheit und steht der Zukunft, die der fast
75-Jährige im Estrel Tower sieht, nicht mehr im Weg. Um über 100 Meter wird der das direkt gegen-überliegende Estrel Hotel überragen; 700 bis 900 Zimmer werden in dem 176 Meter-Turm an der Sonnenallee eingerichtet, mit dem das Architekturbüro Barkow Leibinger den Wettbewerb gewann. „Es ist“, so Streletzki, „ein Entwurf mit großartiger Architektur.“ Und er wird nicht nur das häufig beim Estrel auftretende Problem absorbieren, mit „leider ausgebucht“ auf Reservierungsanfragen reagieren zu müssen, sondern zugleich der höchste Wolkenkratzer Berlins. Tenor der Gremien sei übrigens gewesen, dass man sich das Haus „kaum an einer besseren
Stelle vorstellen könne“, greift der Unternehmer Stefan Evers‘ Statement auf.
Er sei nach der Veranstaltung des Forums Bauen selber überrascht gewesen, zu lesen, „dass ich Hochhäuser nicht will“, gibt der zunächst zu Protokoll und lobt die Erfolgsgeschichte des Estrel, die Leuchtturmqualität für Berlin habe. Zutreffend ist zwar, dass Stefan Evers einen Hochhausentwicklungsplan und ein städtebauliches Gesamtkonzept für Berlin fordert, ein Fragezeichen hinter den Neuköllner Turm-Bau will er aber nicht setzen: „Die Bezirke haben aus guten Gründen die Planungshoheit, und sie lösen die Bremsen für solche Bauprojekte, was ich mir für ganz Berlin wünsche, damit wir Erfolgs- statt Leidens-geschichten hören.“ Ganze Jahre vergingen beim Senat für die Genehmigung von Bebauungsplänen, echauffiert sich der CDU-Abgeordnete über die Arbeit der SPD-dominierten Landesregierung: „Dieser zö- gerliche Umgang mit Stadtplanung ärgert mich noch mehr als stadtplanerische Ergebnisse wie die Europacity.“ Als Schande bezeichnet er es, dass der Flughafen Tempelhof „ohne den Hauch einer Ahnung der Nachnutzung“ geschlossen wurde und
nun für die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes nur „aberwitzig niedrige Summen“ zur Ver- fügung stehen.
Das Gegenteil von „aberwitzig niedrig“ ist, was Ekkehard Streletzki für seinen Estrel Tower kalkuliert, der, so Stefan Evers, die Stadtsilhouette nachhaltig prägen wird. Er rechne mit 200 Millionen Euro, informiert der Bauherr auf Nachfrage über die Größenordnung. Unklarer sind indes noch die Details zur Realisierung. Von 2 bis 2 1/2 Jahren Bauzeit müsse man ausgehen. „Wir rechnen mit einem Baubeginn Ende 2016, vielleicht auch schon früher, was aber von einer Teilbaugenehmigung vom Bezirksamt für
das Fundament abhängt“, hofft Streletzki. Was deren Erteilung betrifft, ist Falko Liecke „guter Dinge“. Schließlich gehe es nicht nur um ein Hotel und um Neukölln alleine: „Das Estrel generiert einen interessanten Messe-standort in Berlin.“
Auch daran, dass der Tower den Bezirk nebst seiner Magistralen aufwertet und Arbeitsplätze schafft, dürfte kaum jemand Zweifel haben. Außer einem Signal für wirtschaftliches Selbstbewusstsein ist er aber auch ein Zeichen für einen Vorwärtsdrang. Er wünsche sich mehr Streletzkis, meldet sich ein „gebürtiger Neuköllner und jetziger Charlottenburger“ aus dem Publikum zu Wort“: „Denn wenn man sich die Entwicklung in Städten wie Seattle, Vancouver oder Melbourne anguckt, ist es beschämend, was in Berlin alles nicht passiert ist.“ Stefan Evers nickte zustimmend; daran, dass der Estrel Tower passiert, könnte er nichts ändern, selbst wenn er es wollte.
=ensa=
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