Zum vielleicht letzten Mal traf sich das Plenum vom Alpha-Bündnis Neukölln am vergangenen Freitag. Es war diesmal beim Quartiersmanagement Ganghofer- straße zu Gast. Um weiter arbeiten zu können, braucht das Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung einen Träger, der die Projektverwaltung vom jetzigen übernimmt. Noch ist niemand gefunden.
Trotzdem ließen sich rund 40 anwesenden Bünd- nispartner ihre gute Stimmung nicht verderben: 280 Mitarbeiter aus Bürgeramt, Jugendamt, Berufsbil- dungs- und Jugendeinrichtungen sowie Stadtteil- mütter und Quartiersmanager haben inzwischen eine Alpha-Kompetenz-Schulung bzw. eine Sensibilisierungs-Schulung besucht. Bei nunmehr 15 Beratungsstellen klebt der Alpha-Kompetenz-Aufkleber neben der Tür. Wieviele Einrichtungen am Ende einen grün-roten Aufkleber tragen werden, ist noch ungewiss. Auf jeden Fall ist das Thema Analphabetismus in Neukölln bekannter geworden und wird mittlerweile als wichtig angesehen.
Konstanze Butenuth (r.) und Urda Thießen (l.) stellten zuerst den Alpha-Ordner vor. „Die Ordner sind gerade angekommen“, freute sich Butenuth und hielt einen weißen Ordner mit rotem Aufdruck in die Luft. „Im Alpha-Ordner sind die Neuköllner Angebote für Menschen mit Lese- und Schreib-Schwierigkeiten zusammengefasst“, erklärte die Koordinatorin vom Alpha-Bündnis. „Der Ordner ist einzigartig und modellhaft. Er ist hauptsächlich als Arbeitshilfe für Beratungseinrichtungen gedacht. Die Betroffenen können ihn aber ebenso selbst benutzen.“ Im Alpha-Ordner werden ganz unterschiedliche Einrichtungen vorgestellt, die zu Arbeit, Wohnen oder Bildung beraten. Alle Beratungsstellen haben aber die Gemeinsamkeit, dass sie Menschen mit Lese- und Schreib-Schwierigkeiten besonders gut betreuen wollen. Urda Thießen vom Lesen und Schreiben e. V. fügte hinzu: „Sie erhalten den Ordner als Loseblattsammlung. In Zukunft können wir die Angebote durch weitere Blätter ergänzen und aktualisieren, soweit Fördermittel dafür zur Verfügung stehen.“ Im Ordner wird auf Seitenzahlen verzichtet.
Um die Vollständigkeit zu überprüfen, gibt es stattdessen ein Inhaltsverzeichnis. Bei jeder Änderung wird das Inhalts- verzeichnis aktualisiert. Die einzelnen Info-Blätter sind sehr übersichtlich gestaltet. In Stichworten werden die Angebote jeder Einrichtung beschrieben. Neben Anschrift, Öffnungs- zeiten und Ansprechpersonen ist auf jedem Blatt ein Foto vom Eingang der Beratungsstelle sowie der betreffende Ausschnitt aus dem Stadtplan zu finden.
Über ein Angebot zur Alphabetisierung und Grundbildung im Pflegebereich berichtete anschließend Diana Stuckatz vom Institut für Erzie- hungswissenschaften der Berliner Humboldt-Universität. „Im Pflegebereich“, erklärte sie, „besteht nicht nur Fachkräftemangel. Es gibt vor allem ein erhebliches Qualifizierungsproblem.“ Und kritisch fragte sie: „Wie sieht heute aber eine Pflege-basis-Qualifizierung aus?“ Es gebe immer noch keine einheitliche Ausbildung für Pflegehilfskräfte, bemängelte die Wissenschaftlerin. Jeder Träger denke sich eine eigene Ausbildung mit fantasievollen Namen für die Abschlüsse aus: Pflege-Assistenz-Kurs oder Pflegebasis-Pass, Mobile Care oder auch Interkulturelle Pflege. Sie könnten aber oft nicht miteinander verglichen werden und seien für funktionale Analphabeten eigentlich ungeeignet. Die Humboldt-Universität hat deshalb einheitliche Lehr- und Lern-Materialien für Menschen mit Lese- und Schreib-Schwierigkeiten entwickelt. Die Materialen werden INA-Pflege-Toolbox genannt. Diana Stuckatz erklärte: „Alpha-Level 4 oder 5 ist schon nötig, um Themen wie ‚Sterben und Tod‘, ‚Gewalt und Aggression‘ oder ‚Kommunikation mit Pflegebedürftigen und Angehörigen‘ angemessen zu behandeln.“ Obwohl es einerseits einen Fach- kräftemangel gebe, werde andererseits eine erfolgreiche Integration von funk- tionalen Analphabeten in den Arbeitsmarkt immer schwieriger. „Eine fundierte Grundbildung ist die beste Garantie, damit ein Mensch sich individuell und beruflich gut entfalten kann!“, betonte Stuckatz mehrmals.
Beim Bündnis für Alphabetisierung und Grund- bildung ist auch der LernLaden Neukölln beteiligt. Kerstin Gürmann, die als mobile Bildungsbera- terin in dem Laden nahe dem U-Bahnhof Karl-Marx-Straße arbeitet, sagte: „Ich habe gute Erfahrungen mit dem Alpha-Aufkleber an der Tür gemacht. Die Nachfrage von Menschen mit Lese- und Schreib-Schwierigkeiten könnte aber noch besser werden.“
Schließlich stellten Konstanze Butenuth und Urda Thießen am Freitagvormittag außerdem eine Postkarte vor, die in einer Auflage von 1.000 Stück herausgegeben wurde. „Wir helfen!“, steht u. a. auf ihr. Wie lange wird das aber noch so sein? Die Fördermittel des Europäischen Sozialfonds (ESF), mit denen der Lesen und Schreiben e. V. (LuS) als aktueller Projektträger die Sensibilisierungs- und Alpha-Kompetenz-Schulungen sowie das Honorar der Koordinatorin finanziert, laufen Ende nächsten Monats aus und eine Weiterfinanzierung konnte bislang nicht akquiriert werden. Fakt ist, dass LuS nicht mehr für die Trägerschaft und Mittelanwerbung zur Verfügung steht. „Der Aufwand ist so groß, dass unser Verein das nicht mehr stemmen kann“, sagt Urda Thießen, die die Hoffnung, dass einer der Bündnispartner das Alpha-Bündnis Neukölln übernimmt, noch nicht aufgegeben hat. Andernfalls sei auch vorstellbar, dass das Bündnis ohne Förderung wie eine Arbeitsgruppe von allen Involvierten organisiert und fortgeführt wird und sich die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt: „Ob das machbar ist, hängt aber von den Kapazitäten der einzelnen Bündnispartner ab.“
Die Karte kann ebenso wie der Alpha-Ordner per E-Mail beim Alpha-Bündnis Neukölln (alpha-buendnis[at]lesen-schreiben.com) angefordert werden.
=ensa/Christian Kölling=
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