An den Grabsteinen im Bereich der Herrnhuter Brüder-gemeine auf dem Böhmischen Gottesacker ist nicht ablesbar, ob die Verstorbenen reich oder arm waren. Denn diese sind traditionell einheitlich in ihrer Größe und liegen fast flach auf dem Boden. Selbst
bei der Grabgestaltung gilt ein einheitliches Prinzip. Auch Eckart Hachfeld sei dort begraben, erfuhr ich von Dr. Bernd Krebs, dem ehemaligen Pfarrer der reformierten Bethlehems-gemeinde in Neukölln.
Vielen wird vermutlich der Name Eckart Hachfeld nichts sagen, doch haben sicher fast alle einmal Texte von Hachfeld gelesen oder gehört. Tilman Hachfeld, einer seiner drei Söhne, war freund-licherweise bereit, von der künstlerischen Tätigkeit und dem Leben seines Vaters zu erzählen, das 1910 in Mörchingen/Elsass, dem heutigen Morhange, begann.
Er studierte Jura und promovierte. Nach einer juristischen Tätigkeit in einem Zeitungsverlag arbeitete er in der Außenhandelsabteilung der 1975 von BASF übernommenen Knoll AG in Ludwigshafen. Als Offizier geriet er nach dem 2. Weltkrieg in englische Kriegsgefangenschaft. Im Gefangenenlager hat er für die deutschen Kriegsgefangenen als Regisseur das Stück „Im weißen Rössl“ zur Unterhaltung aufgeführt. Als Mitspieler gewann er den Mitgefangenen Rolf Ludwig, der später ein sehr populärer Schauspieler in der ehemaligen DDR wurde. Doch damit nicht genug: Im Gefangenenlager gründete Eckart Hachfeld eine Theater-gruppe, in der Kabaretttexte gegen die deutsche Lagerleitung geschrieben wurden. „Das waren doch zumeist ehemalige Nazis, die die Leitung im Gefangenenleiter übernommen hatten“, begründete Tilman Hachfeld dieses Engagement: „Die Engländer überließen es den Deutschen das Lager zu organisieren.“ 1946 wurde dann sein Vater nach Deutschland entlassen – mit der Auflage, sich ausschließlich in der britischen Zone aufzuhalten. Er nahm seinen Wohnsitz in Hamburg und verdiente sich u. a. Geld „mit historischen Geschichten für Schulfunksendungen des Nordwest-deutschen Rundfunks.“
Ansehen als Kabaretttexter erwarb er, als er für Kabarettgruppen an der Reeperbahn in Hamburg schrieb. Irgendwann, erzählt Til- man Hachfeld, forderte ein Bekannter seinen Vater auf: „Schreib‘ doch mal für Wolfgang Neuss! Der kann was, der ist gut, hat aber bloß keine guten Texte.“ Von 1949/50 bis 1960 lieferte Eckart Hachfeld dem Kabarettisten alle Texte – und außerdem die Idee, mit einer Trommel aufzutreten. „Für mich und meine Geschwister war Neuss ein Nenn-Onkel“, erinnert sich der Sohn.
1952 zog die Familie schließlich nach Berlin um, und Eckart Hachfeld begann für das Kabarett Die Stachelschweine zu texten. Über die Schauspielerin Ursula Herking sei ein Kontakt zum Düsseldorfer Kom(m)ödchen entstanden, der einen Vertrag mit Ausschließlichkeitsklausel zur Folge hatte. „Unter einem Pseudonym hat mein Vater aber auch für andere Texte geschrieben“, sagt Hachfeld und muss dabei etwas schmunzeln.
Im Jahr 1951 habe sein Vater auch angefangen, für Die Welt eine wöchentliche Zeitsatire mit dem Titel „Amadeus geht durchs Land“ zu schreiben. Als er mit dieser zum Wochenmagazin Stern wechselte, entlud sich ein Rechtsstreit, der zugunsten Hachfelds endete. Laut Tilman Hachfeld war die Kolumne „die längste, konsequent veröffentlichte Serie in einer deutschen Zeitschrift nach 1945“. Umso mehr traf es den Vater, als ihm „etwa 1990“ telefonisch von der Stern-Redaktion mitgeteilt wurde, dass die Serie eingestellt werde: „Davon hat er sich nie wieder richtig erholt.“
Als ich Tilman Hachfeld frage, ob sein Vater die Berufswahl seiner drei Söhne beeinflusst habe, wird das ausdrücklich verneint: Er, der jüngste, wurde Theologe; seine beiden Brüder wählten künstlerische Berufe. Rainer Hachfeld den des Karikaturisten, und Eckart, der älteste der Hachfeld-Söhne, wurde unter dem Künstlernamen Volker Ludwig als Gründer des Berliner Grips-Theaters bekannt. „Das könnte wohl sein“, entgegnet Tilman Hachfeld, als ich nachhake, ob das Pseudonym seines Bruders dem DDR-Schauspieler Rolf Ludwig gewidmet sei. Der Rat, sich überhaupt einen Künstlernamen zuzulegen, kam jedoch vom Finanzamt Steglitz, erzählt er: Bei Honorarabrechnungen habe es wegen der Namensgleichheit oft Verwechslungen gegeben. Dass Eckart Hachfeld jun. ab und zu die Amadeus-Zeitsatire fertig schrieb, wenn der Senior (r.) im Urlaub weilte, sei aber niemandem aufgefallen, gibt Tilman Hachfeld eine kleine familiäre Anekdote preis.
Ein weiterer künstlerischer Schwerpunkt des Vaters waren Liedtexte. Als sich der Ende letzten Jahres verstorbene Sänger Udo Jürgens kritischere Texte für seine Lieder wünschte, wandte sich dessen Manager an Eckart Hachfeld. So kam es, dass dieser für den Musiker bekannte Stücke wie „Lieb Vaterland“, „Zeig mir den Platz an der Sonne“ und „Aber bitte mit Sahne“ schrieb. Da Jürgens‘ Manager außerdem den Sänger Adamo unter Vertrag hatte, textete Eckart Hachfeld schließlich auch für diesen. „Er musste nie hausieren gehen, die Aufträge kamen auf ihn zu“, kann Tilman Hachfeld rückblickend berichten. Seine Drehbücher, die er seiner Sekretärin in die Schreibmaschine diktierte, waren ebenfalls gefragt: „Mein Vater stand in dem Ruf, selbst ein schlechtes Drehbuch noch umschreiben zu können.“
Fern lag es Eckart Hachfeld allerdings, sich in die Öffentlichkeit zu drängen, für seine künstlerischen Tätigkeiten bewundern zu lassen und Interviews zu geben. „Das war ihm nicht wichtig. Mein Vater“, so Tilman Hachfeld, „verstand sich als Handwerker und nicht als Künstler.“ Er habe nicht mal ein Musikinstrument spielen können. Um einen Liedtext zu schreiben, benötigte er oftmals nur einen vorgegebenen Rhythmus. Den Kindern las er nur in Ausnahmefällen vor, was aus seiner Feder geflossen war. Auf meine Bitte an Tilman Hachfeld, seinen Vater zu charakterisieren, fällt ihm als erstes ein, dass dieser „sehr stur sein konnte und nicht unbedingt kommunikativ war.“ Er sei eher ein Einzelgänger gewesen, beschreibt ihn der Sohn.
Wie aber kam der Kontakt nach Neukölln zur Herrnhuter Brüdergemeine zustande? Seine Mutter habe bereits bei der Eheschließung der Gemeinde angehört, sein Vater trat ihr erst einige Jahre nach der Hochzeit bei, sagt Tilman Hachfeld. Als „freund-schaftlich“ bezeichnet er die Beziehung, die seine Eltern zur Kirchenleitung der Herrn- huter pflegten. Erst 1993 waren sie, die lange in Bayern gelebt hatten, wieder nach Berlin, in die Heimatstadt der drei Söhne, gezogen. Im darauffolgenden Jahr verstarb Eckart Hachfeld mit 84 Jahren; seine Frau Erika, geb. Levin, wurde 92 Jahre alt.
Auch wenn es Eckart Hachfeld vielleicht nicht gern hören würde: Neben dem Handwerker ist er ganz sicher auch ein großer Künstler gewesen. Für sein Schaffen wird „der vielseitigste unter den Qualität und Anspruch des bundesdeutschen Nachkriegskabaretts bestimmenden Autoren“ seit Oktober 2004 mit einem Stern der Satire auf dem Walk of Fame des Kabaretts in Mainz gewürdigt.
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Danke! Mehr solche biografischen Texte! Hab viel dazugelernt. Und: Neukölln endet nicht am Ring.
Richard
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