Ein gutes Beispiel – in Neukölln

tag der sinti und roma_wildenbruchbruecke neuköllnGestern, nachmittags gegen 14 Uhr: Rund 80 Menschen haben sich mit bunten Tulpen auf der Wildenbruchbrücke in Neukölln ein- gefunden, um wie überall auf der Welt den Internationalen Tag der Sinti und Roma zu begehen. Einige tragen eine grüne und blaue Flagge mit rotem Chakra. Die Farben der Fahne stehen symbolisch für Himmel und Erde, während das Rad an den gemein- samen indischen Ursprung der Roma und Sinti erinnert. Die Versammelten werden gleich ihre Blumen über die Brüstung ins Wasser werfen, als Erinnerung an die Opfer, die der Porajmos – das Verschlingen – tag der sinti und roma_infotisch_k-fetisch neuköllnzwischen 1933 und 1945 gefordert hat, sowie zum Gedenken an alle anderen Toten.

Der Zeremonie am Neuköllner Schiffahrts- kanal war die öffentliche Informationsver- anstaltung „IQ-Tests, Sonderschulen, Extra-Klassen – Ausgrenzung von Roma-Kindern in Europa heute“ vorausgegangen, die nicht weit entfernt im Café K-Fetisch stattgefunden hatte. Sie wurde vom Verein Amaro Foro e. V. in Kooperation mit der Berliner Antirassismus-Gruppe von Amnesty International veranstaltet, um auf die weiterhin in ganz Europa bestehende soziale Ausgrenzung der Roma hinzuweisen und ein Ende der Diskriminierung zu fordern. Am Eingang lagen zudem Informationen wie das aktuelle Berliner Register zur Erfassung rassistisch, antisemitisch und rechtsextrem geprägter Vorfälle in Berlin aus, das für den Bezirk Neukölln von Amaro Foro geführt  wird.

Prof. Dr. Hristo Kyuchukov, Psycholinguist und Experte für die Bildungssituation von Roma, erklärte in seinem Referat: „In den letzten 10 – 15 Jahren werden mitten in Europa wieder Intelligenztest mit Roma-Kindern durchgeführt. Diese Forschung ist unseriös und rassistisch. Rechte Bewegungen nutzen sie für Propagandazwecke.“ Seine Kritik untermauerte Kyuchukov (l.) u. a. mit Hinweis auf die englischsprachige kyuchukov_piper_bieler_k-fetisch neuköllnPublikation „The Roma: A Balkan Under- class“ von Jelena Cvorovic.

Marie Piper, Koordinatorin der deutschland- weiten Antirassismus-Arbeit bei Amnesty International, musste in der anschließenden Diskussion, die Patrick Bieler (r.) von Amaro Foro moderierte, feststellen: „Das Men- schenrecht auf Bildung wird Roma in vielen EU-Staaten ganz verwehrt oder stark eingeschränkt. Ein Großteil der Roma-Kinder wird aufgrund ethnischer Merkmale in Extra-Klassen und Sonderschulen abgeschoben.“ Piper erwähnte ausdrücklich kritisch die Situation in Tschechien und in der Slowakei ebenso wie in Ungarn und Bulgarien. Zur Lage in Deutschland wollte sie sich nich äußern.

„Amaro Foro ist in Berlin als die kritische NGO gegen Willkommens-Klassen be- kannt“, räumte Georgi Ivanov von Amaro Foro ein. Wobei die Einwände aber nicht den Klassen an sich gelten, sondern „den Auswirkungen problematischer Umsetzungen dieses Konzeptes in der Praxis“. Gleichwohl ist Ivanov durchaus bekannt, dass es bei anderen Roma-Vertretern auch Befürworter der Willkommens-Klassen gibt. Er hält seine Kritik aber aufrecht, denn seiner Erfahrung nach haben Grundschulkinder in Willkommens-Klassen das Gefühl, dass sie nicht gut genug seien, um mit deutschen Schülern auf einer Schulbank zu sitzen. Kinder hingen außerdem viel zu lange in Warteschleifen und würden zum Teil monatelang nicht beschult, bevor sie Platz in einer Willkommens-Klassen fänden. Zumindest ein gutes Beispiel konnte Georgi Ivanov bei seiner Beratungsarbeit aber schon kennenlernen – und das in Neuköllnroki harmony_k-fetisch neukölln: „In der Hermann-Boddin-Grund- schule gibt es eine Lehrkraft mit rumä- nischen Sprachkenntnissen, die sehr viel Kompetenz in Deutsch als Zweitsprache hat.“ Sie orientiere sich ausschließlich am Sprachniveau der Jugendlichen und helfe ihnen unabhängig von Alter und Herkunft beim Spracherwerb.

Abgerundet wurde die Informationsveran- staltung des Amaro Foro im Café K-Fetisch mit einem kurzen Auftritt der Jugend-Musikgruppe Roki Harmony.

=Christian Kölling=

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