Fast könnte man meinen, dass das Sammeln von Dingen verpönt ist. So eindringlich betont Anne Kamra-towski, dass sie sich nicht als Sammlerin, sondern als „Spezialistin für Alltagsgeschichte“ sehe. Wie auch immer man aber nennt, was die Berlinerin leidenschaftlich betreibt – ohne diese Passion würde es keine Aus- stellung wie die geben, die vorgestern im Schloss Britz eröffnet wurde.
„Puppenwelten vom Biedermeier zum Jugendstil“ heißt sie, ist aber weitaus mehr als eine Präsentation perfekt restaurierter, historischer Mädchen-Spielzeugfiguren. Sie sei auch erst zögerlich gewesen, erinnert sich Sonja Kramer, die Geschäftsführerin der Kulturstiftung Schloss Britz, an die ersten Gespräche mit Kuratorin Aneta Brinker. Dann aber kratzte schon die Vorabumfrage hinsichtlich des Besucherpotenzials an ihrer Skepsis: „Bei der zeigte sich nicht nur ein starkes Interesse.“ Die Emotionalität der Erinnerungen, die bei den Befragten alleine durch das Wort Puppen wachgerufen wurden, sei unglaublich gewesen. Längst ist auch bei Sonja Kramer (r., neben Anne Kamra-towski) Begeisterung an die Stelle der Bedenken getreten. „Puppen stehen für das Generationen-bewusstsein und sind Kulturgeschichte“, hat sie sich überzeugen lassen. Zur Befriedigung des
Spieltriebs sind die etwa 200 Exponate aber keinesfalls geeignet, die nun in den Vitrinen des Britzer Schlosses Impulse für eine Zeitreise durch 100 Jahre Alltags- und Stil- historie sowie die Geschichte der Spielzeugindustrie geben, die Deutschland einst als Marktführer be- herrschte. „Sie sind kein bespielbares Spielzeug, sondern Museumsstücke, die nicht nur zeigen, was sich im 19. Jahrhundert bei der Puppenproduktion geändert hat“, stellt Sonja Kramer klar. Bis zu 10 Leute, verrät sie, seien etwa zwei Wochen lang mit dem Aufbau der Ausstellung beschäftigt gewesen. Eine ausgeprägte Feinmotorik gehörte dabei vor allem bei der Bestückung
der fragilen, mit schier unzähligen Requisiten ausgestatteten Puppenhäuser und Kaufmannsläden zur Kernkompetenz. Dass die hölzernen Dielen Schwingungen im Gebäude nicht eben absorbieren, kam erschwerend hinzu – und dürfte auch weiter-hin immer mal wieder ein Eingreifen erfor-derlich machen.
„Es sind Puppen mit ganz besonderer Ausstrahlung und in Originalkleidung, die hier gezeigt werden“, beschreibt Anne Kam- ratowski ihre Exponate: „Mit den Augen der Puppen guckt die alte Zeit zurück.“ Sie selber, erzählt sie, sei ei- gentlich durch Zufall an die Spielzeug-Figuren gekommen. Als sie als 14-Jährige einen Taschen- geld-Job suchte, empfahl ihr eine Lehrerin, doch mal bei dem Puppenhändler in der Nachbarschaft anzu- fragen. So entstand nach und nach eine Verbindung zu einer Leidenschaft, die lange vorher insbesondere
durch Anne Kamratowskis Großmutter angestachelt wurde: „Sie hat immer viel von früher erzählt, und schon als kleines Kind hab ich mich für Alltags- geschichte interessiert.“ So wurden die zentralen Figuren des neuen Hobbys zu Protagonisten des alten.
„Alles, was es in groß gab, gab es auch in klein, denn die Kinder sollten durch den Umgang Puppen, Pup- penstuben oder Kaufmannsläden, mit denen auch Jungs spielten, für das Leben lernen“, stellte sie schon früh fest. Um Schäden am Spielzeug zu verhindern, sei ihnen das Spielen allerdings lange „nur zu besonderen Anlässen und unter Aufsicht erlaubt“ gewesen. „Deshalb“, so die Sammlerin, „sind auch immer noch viele Porzellanköpfe aus der Zeit erhalten.“ Die Körper seien oft aus Kostengründen selber genäht worden, was das
disharmonische Größenverhältnis zwischen Kopf und Torso vieler historischer Puppen erkläre. Anne Kamratowski hätte dieses zwar mit der Sachkenntnis einer Ausbildung als Restauratorin begleichen können, doch daran ist ihr nicht gele- gen: „Schon wegen des kulturhistorischen Wertes der Ausstellung sind viele Stücke nicht groß restauriert.“ Mit der Puppennähmaschine, versi- chert sie, lasse sich trotzdem noch heute nähen und mit dem Herd der meisten ihrer Puppen-
küchen nach wie vor kochen. Sogar Rezeptbücher mit exakten Zutaten-Mengenangaben für das Gelingen der Mahlzeiten en miniature gibt es.
Erst um 1900, erzählt Anne Kamratowski, kamen Spielzeugproduzenten davon ab, Puppen nach dem Vorbild Erwachsener herzustellen und erste Baby- puppen auf den Markt. Auch der Einfluss der Kolonialzeit spiegelte sich in der Optik der Puppen wider; „exotische Puppen“ wer- den die Exponate in der Ausstellung genannt.
Als exotisch lässt sich ebenfalls bezeichnen, was im vorletzten Raum des Rundgangs durch die Welt der Puppen zu sehen ist. „Das Jugendstilpuppenhaus hab ich 1970 inspi- riert von Gaudís Sagrada Familia in Barce- lona entworfen, und mein Vater hat es gebaut“, berichtet Anne Kamratowski, deren Sammlung nun erstmals öffentlich ausgestellt wird. Damit erfüllt sich für die Berlinerin ein langgehegter Wunsch: „Mir ging es nie darum, die Puppen für mich zu haben, sondern ich wollte sie immer in einer Ausstellung zeigen.“
Die „Puppenwelten vom Biedermeier zum Jugendstil“ sind noch bis zum 30. August im Schloss Britz zu sehen. Öffnungszeiten: Di. – So. 11 – 18 Uhr; Eintritt: 5 Euro, erm. 3 Euro, Kinder bis 12 Jahre frei.
Sondertermine für Schulklassen (Kostenbeitrag je 1 Euro) können tele- fonisch unter 030 – 60 97 92 30 vereinbart werden.
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